Der Verehrer
Zukunft. Die Geschichte mit ihr, meine ich. Mir war auf einmal klar, daß dort nicht mein Weg liegt.«
»Ich dachte, es sei etwas unheimlich Ernstes. Eine Art Welle, die dich mitgerissen hat. Irgendwie unaufhaltsam und unabwendbar.«
Nachdenklich meinte er: »Vielleicht war es das auch. Eine Welle. Ein Ausbruch. Etwas, das mich aus der Bahn geworfen und mein ganzes bisheriges Leben in Frage gestellt hat. Im nachhinein ist mir klar, es hatte gar nicht so viel mit Nicole zu tun. Sie war der Auslöser, aber nicht die Ursache. In mir war das Gefühl übermächtig geworden, raus zu müssen aus allem.«
»Und jetzt?«
Jetzt, dachte er, hätte ich gern ein Happy – End mit dir. Ich möchte dich um Verzeihung bitten, ich möchte, daß du mir vergibst. Im Grunde möchte ich, daß wir dort weitermachen, wo wir aufgehört haben. Genau an dem Punkt. Als ob nichts geschehen wäre.
Aber das war nicht möglich, und das wußte er. Er betrachtete Leona und bemerkte die Veränderung, die mit ihr im letzten halben Jahr vorgegangen war. Sie sah anders aus, und das lag nicht nur an den kurzen Haaren. Ihr Gesicht war schmaler geworden, die Züge klarer und härter. Sie lächelte seltener, und wenn sie es tat, wirkte es manchmal kalkuliert. Man sah ihr an, daß sie durch eine harte Zeit gegangen war, daß sie nie mehr dieselbe sein würde wie vorher. An ihrem leisen Stirnrunzeln bemerkte Wolfgang, daß seine Antwort noch ausstand.
»Und jetzt?« griff er ihre Frage auf.
Er versuchte, ehrlich in sich hineinzuhorchen und ihr aufrichtig zu sagen, was er fühlte.
»Die Empfindung, ausbrechen zu müssen, ist vorbei«, sagte er langsam. »Das Bedürfnis ist gestillt, und es hat sich zudem als Schein-Bedürfnis entpuppt. Ich weiß wieder, was das Leben mit dir wert war. Ich weiß auch, daß es das einzige Leben ist, das ich führen möchte.«
Ein langes Schweigen breitete sich aus zwischen ihnen. Der Ober, der sich wieder genähert hatte, um die Essensbestellung aufzunehmen, entfernte sich diskret. Er hatte gemerkt, daß er im Augenblick stören würde.
»So einfach ist das jetzt alles nicht mehr«, sagte Leona schließlich.
»Ich weiß. Ich habe dich sehr verletzt.«
»Du hast mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Völlig überraschend, von einem Moment zum anderen.
Ich hatte keine Gelegenheit, mich darauf vorzubereiten. Ich hatte das Gefühl, als bräche alles zusammen, worauf ich mich je im Leben verlassen habe.«
»Leona …«
»Es lag aber auch an mir«, fuhr sie fort, als habe sie seinen flehentlichen Einwurf – bloß keine grundsätzliche Analyse jetzt! – gar nicht gehört. »Ich war wirklich in einen Dornröschenschlaf gefallen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß mir so etwas passieren könnte – verlassen zu werden, einen Scheidungsanwalt aufsuchen zu müssen … Das stieß anderen zu, nicht mir. Ich hatte mein Leben zwischen ganz bestimmten, unverrückbaren Eckpfeilern eingerichtet. Einer davon war die Ehe als einzige für mich vorstellbare Form der Lebensgemeinschaft. Und die wiederum unter dem Aspekt lebenslanger Treue, Liebe – und all den anderen wichtigen Dingen«, setzte sie ironisch hinzu.
»Daran ist nichts falsch, Leona«, sagte Wolfgang.
»Nein. Aber man sollte auch die anderen Möglichkeiten im Auge behalten. Man darf sich nicht aus der Realität wegträumen. Meist endet das sonst in einem ziemlich harten Erwachen.«
»Also kein Glaube mehr an einen Prinzen?« fragte Wolfgang leise.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Auch kein Glaube an Neuanfänge?«
Sie sah ihn an. »Das weiß ich nicht. Vielleicht kann ich dir das irgendwann einmal beantworten. Jetzt nicht.«
Der Ober näherte sich erneut, hoffend, daß die beiden Gäste endlich bestellen würden. Leona nickte ihm zu.
»Ich habe riesigen Hunger«, sagte sie.
Am Ende des Abends bot Wolfgang Leona an, sie nach Hause zu fahren, und Leona willigte ein. Sie hatten
während des Essens nicht mehr über sich gesprochen, nur über ihrer beider Arbeit, über Probleme mit Kollegen, über kleine Erfolge und jede Menge Ärger.
Es war einfach mit ihm, stellte Leona fest. Er fixierte sie nicht unablässig, und selbst wenn er sie ab und zu forschend betrachtete, hatte Leona nicht das Gefühl, dabei aufgesogen, verschlungen und absorbiert zu werden. Sie hatte nicht den Eindruck gehabt, ihn mit jedem Satz, den sie sagte, ihrer Liebe versichern zu müssen. Obwohl die Atmosphäre aufgrund der Umstände keineswegs unverkrampft gewesen war,
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