Der Verehrer
sprach er kaum, und was er sagte, hatte nichts mit ihnen und ihrer Beziehung zu tun. Zwei- oder dreimal lag es Leona auf der Zunge, ihn noch einmal zu fragen, weshalb er sie angelogen hatte und weshalb er auf eine so grausige Lüge verfallen war. Aber jedesmal schluckte sie die Frage wieder hinunter. Sosehr sie das Warum interessierte, sowenig wollte sie ihm andererseits eine Möglichkeit für Erklärungen und Rechtfertigungen geben. Selbst wenn sie ihn hätte verstehen können, es hätte nichts geändert. Es war zuviel passiert. Es war vorbei.
Unter der Oberfläche blieb sie die ganze Zeit über nervös. Es irritierte sie, daß das Drama ausblieb. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, wie er sich verhielt, wenn die Dinge nicht nach seinen Wünschen abliefen. Es paßte nicht zu ihm, daß er die Geschehnisse so ruhig hinnahm. Er schien nicht einmal wütend zu sein. Sie musterte ihn immer wieder unauffällig von der Seite. Sein Gesicht wirkte entspannt, seine Lippen lagen ruhig aufeinander. Kein Flackern in den Augen, kein mürrischer Zug um den Mund verrieten Ärger oder Zorn. Er war blasser als sonst, aber das war Leona selbst auch. Angesichts der Umstände erschien ihr das normal.
Dauernd wartete sie auf einen Ausbruch, wünschte ihn fast herbei, um ihn hinter sich bringen zu können.
Aber nichts geschah.
Er packte daheim in Frankfurt seine Habseligkeiten zusammen, kochte für sie beide ein Abendessen, verbrachte
die Nacht im Gästezimmer. Am nächsten Morgen fragte Leona ihn, ob sie ihn zum Bahnhof bringen solle.
Er lehnte ab. »Ich nehme ein Taxi. Es ist einfacher so. Abschiedsszenen auf Bahnhöfen sind mir unerträglich.«
»Es tut mir leid, daß alles so gekommen ist«, sagte Leona unbeholfen. »Ich wünschte …«
Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Er schien jedoch zu wissen, was sie meinte, denn er nickte verständnisvoll.
»Ja. Ich hätte mir das auch gewünscht.«
Er drückte ihr die Hausschlüssel in die Hand, die sie ihm gegeben hatte. Sie sah ihm nach, wie er den Gartenweg entlangging, in jeder Hand eine Reisetasche, den Kragen seiner abgetragenen Jacke hochgeschlagen. Die langen Beine steckten in verwaschenen Jeans. Ihr war nie aufgefallen, wie geschmeidig sein Gang war, wie ausgreifend seine Schritte. Im Schein einer blassen Märzsonne glänzten seine dunklen Haare.
Er kann jede Frau haben, dachte sie, ohne Probleme. Die tauchen erst später auf. Ob er mich bei meinen Nachfolgerinnen erwähnt? Ob er von mir auch behauptet, ich sei ertrunken?
Da war wieder der nervöse Schauer, der neuerdings ständig auf der Lauer zu liegen und ihr nur allzu bereitwillig über den Rücken zu laufen schien. Sie wartete immer noch auf eine Eskalation. Sie wartete sogar noch, als Robert ins Taxi stieg und davonfuhr. Sie wartete den ganzen Abend über und während der nächsten Tage. Bei jedem Telefonklingeln zuckte sie zusammen. Aber es war nie Robert am Apparat. Er schien so plötzlich aus ihrem Leben verschwunden zu sein, wie er darin aufgetaucht war.
In einer eigenartigen, diffusen Stimmung vergingen die nächsten Tage, in einer Mischung aus Traurigkeit und Erleichterung, aber im Wettlauf der Gefühle gewann schließlich
die Erleichterung einen winzigen Vorsprung und baute ihn von Tag zu Tag aus. Leona merkte erst jetzt, daß sie sich wie in einer Klammer gefühlt hatte. Roberts Präsenz hatte sie bedrückt. Immer war er dagewesen, wenn sie heimkam, hatte bereitgestanden mit einem Drink, einem Essen, zu einem Gespräch. Sie hatte das genossen, aber er war immer eine Spur zu intensiv gewesen, als daß sie sich wirklich hätte entspannen können. Er war für sie dagewesen, war aber seinerseits angerückt mit einem Ausmaß an Erwartungen, das sich manchmal wie ein Ring um ihr Gemüt gelegt hatte. Warum hatte sie das nur nie realisiert?
Weil ich es nicht realisieren wollte. Weil es perfekt sein sollte.
Sie fuhr nach Lauberg, um Dolly und Linda wieder abzuholen. Sie stellte dabei fest, daß Olivia und Paul kaum mehr ein Wort miteinander wechselten und es angestrengt vermieden, einander mit Blicken zu begegnen. Carolins Freund Ben hatte sich die Haare abschneiden lassen, was ihn etwas seriöser wirken ließ, aber offensichtlich hatte er noch immer keinen Job und schien auch nicht sonderlich eifrig bemüht, sich nach etwas Geeignetem umzusehen. Immerhin spielte er mit seinem Sohn Felix im Garten und schien tatsächlich mit einer gewissen Liebe an dem Kind zu hängen.
Leona eröffnete ihren Eltern,
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