Der Verehrer
Kellerfenster, durch das sie früher immer hinausgedurft hatte.
»Es geht nicht, Linda« sagte Leona, »es ist zu gefährlich. «
War es das? Oder sah sie nur Gespenster? Wenn sie abends weg mußte und erst nachts nach Hause kam, jagte sie eine unheimliche Furcht, die sie früher nicht gekannt hatte, den Gartenweg entlang. Vor allem dann, wenn sie so spät dran war, daß in den umliegenden Häusern keine Lichter mehr brannten.
Keiner würde es merken, wenn mich jetzt jemand aus den Büschen anspränge, dachte sie dann. Sie dachte immer »jemand«, aber die innere Stimme, die sie warnte, meinte »Robert«.
Es kam kein Lebenszeichen von ihm, nicht das geringste. Kein Brief, kein Anruf. Einmal wählte sie seine Nummer in Ascona, aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Das mußte nichts bedeuten; Robert hatte auch hier, selbst wenn er daheim war, fast immer das Band laufen lassen.
Er ist in Ascona, sagte sie fast trotzig zu sich, oder sonst irgendwo. Jedenfalls nicht in Frankfurt.
Wäre er noch in der Nähe, so redete sie sich ein, dann würde er sie ständig belagern. Er würde vor ihrem Haus auftauchen, sich um Verabredungen bemühen, er würde ständig auf sie einreden. Er würde sich nicht ruhig verhalten.
Würde er ihre Katze vergiften?
Sie versuchte, ihr ganz normales Leben wiederaufzunehmen, dort, wo es geendet hatte, ehe sie Robert traf, ehe Wolfgang sie verlassen hatte. Sie fand nichts von dem Frieden und dem Gleichmaß wieder, die damals ihre Tage bestimmt hatten.
Es war Lydia, die sie auf die Idee brachte, Bernhard, den Exehemann der toten Eva, aufzusuchen und mit ihm zu reden. Lydia hatte wieder Tag für Tag über den Anrufbeantworter um ein Treffen gebettelt, und Leona hatte sich schließlich erweichen lassen. Sie gingen zusammen essen, und Lydia brannte auf Details über Leonas Liaison mit Robert. Sie schien frustriert, als sie hörte, daß die Beziehung nicht mehr existierte.
»Nein?« fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.
»Wir paßten nicht recht zueinander. Es gab zu viele Meinungsverschiedenheiten«, sagte Leona ausweichend.
»Hat Ihr Mann Ihnen gesagt, daß Robert Ihnen etwas Falsches erzählt haben muß über den Zeitpunkt, als seine Freundin gestorben ist?«
»Ja, aber das hatte ich selbst auch schon herausgefunden«, entgegnete Leona und unterschlug Lydia die Tatsache, daß Roberts Freundin überhaupt nicht gestorben war, sondern das Weite gesucht hatte.
Irgendwann kam Lydia wieder auf Eva zu sprechen und natürlich auf Bernhard Fabiani und seine Schandtaten, und plötzlich dachte Leona, daß Bernhard Fabiani sicher manches über seinen Schwager wußte. Er war viele Jahre mit Eva verheiratet gewesen. Er mußte daher auch immer wieder Kontakt zu Robert gehabt haben.
Sie mochte Lydia nicht nach Bernhards Telefonnummer fragen. Sie entsann sich, daß er sie im vergangenen Jahr einmal angerufen und ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Er hatte um Rückruf gebeten und ihr seine Nummer genannt, aber sie hatte sich nie bei ihm gemeldet, und er war ebenfalls nicht mehr in Erscheinung getreten.
Wieder zu Hause, blätterte sie in dem dicken Block, der immer neben ihrem Telefon lag, und fand tatsächlich die
Notiz, die sie sich damals nach dem Abhören des Bandes gemacht hatte: Bernhard Fabiani. Dahinter die Telefonnummer.
Sie wählte sie, ohne zu zögern.
»Seit meiner Scheidung von Eva habe ich Robert nicht mehr gesehen oder gesprochen«, sagte Bernhard. »Erst wieder nach Evas Tod in ihrer Wohnung. Aber auch da haben wir ja nur wenige Worte gewechselt.«
»Aber vorher haben Sie ihn doch recht gut gekannt?« fragte Leona.
Sie hatten sich im Mövenpick getroffen. Es war fünf Uhr am Nachmittag, ein faszinierendes goldenes Licht lag über der Stadt, und schwarze Wolkenbänke jagten pfeilschnell über den strahlendblauen Himmel. Am Mittag waren ein paar Schneeschauer niedergegangen, und nun lag die Welt wieder in Frühlingsglanz getaucht. Der Aprilwind fegte durch die Straßen. Die Menschen draußen mußten sich anstemmen gegen den Sturm. Ihre Mäntel und Schals flatterten, ihre Haare standen zu Berge. Es war lustig, fand Leona, ihnen aus dem Schutz des warmen Raumes heraus, abgetrennt durch dicke Glasscheiben, zuzusehen. Sie hätte sich wohlig und zufrieden fühlen können. Der Geruch des Kaffees vor ihr belebte sie, die gedämpften Stimmen, das Geklapper von Löffeln ringsum besänftigte sie zugleich. Sie mochte diese Stunde, wenn der Tag ganz
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