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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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damit in den Ohren.«
    »Was sagte er?«
    Sie sah sich wieder in Locarno in dem Straßencafé sitzen, unter der warmen Sonne, den See zu ihren Füßen. Robert hatte sehr gut ausgesehen, erinnerte sie sich. Er paßte in diese schon ganz und gar italienische Landschaft. Er war lockerer und entspannter gewesen als je zuvor in Frankfurt.

    »Er sagte, er freue sich, wenn meine Haare wieder lang wären.«
    »Du wolltest das also ihm zuliebe tun? Deine Haare wieder wachsen lassen?«
    »Ja«, sagte Leona, »das wollte ich für ihn tun.«
    Er betrachtete sie besorgt. »Du warst ziemlich vernarrt in ihn.«
    »Ein paar Monate lang hätte ich mir womöglich einen Ring durch die Nase ziehen lassen, wenn er nur dafür bei mir geblieben wäre. Ich dachte, das Schlimmste, was mir passieren könnte, wäre, zu meinen Eltern gehen und ihnen sagen zu müssen, daß mir schon der zweite Mann weggelaufen ist.«
    »Ich verstehe«, sagte Wolfgang.
    »Jedenfalls«, fuhr Leona fort, »sagte Robert etwas von Rapunzel … es würde ihm gefallen, wenn ich wieder wie Rapunzel aussähe, oder etwas Ähnliches. Ich lachte darauf und erwiderte, er solle sich in acht nehmen, Rapunzel habe einen fremden Mann an ihren Haaren in ihr Zimmer klettern lassen, und vielleicht könnte mir so etwas auch in den Sinn kommen. Es war einfach Geplänkel, weißt du, nichts Ernstes.«
    »Und er nahm es ernst?«
    »Ich weiß nicht. Er lachte ebenfalls, und …«
    »Und?«
    »Und er sagte, in diesem Fall würde er mich umbringen.«
    3
    Am Tag, an dem sie ihren Vater beerdigten, erfuhr Lisa, daß sich ein Zeuge gemeldet hatte, der nun als der – außer dem Mörder – möglicherweise letzte Mensch galt, dem Anna in ihrem Leben begegnet war.

    Es war Mittag, als Lisa vom Friedhof zurückkam. Sie hatte geweint am Grab, und sie wollte sich daheim nur wieder kurz zurechtmachen, ehe sie hinüber zum Dorfgasthof gehen und ein Mittagessen für die Trauergäste geben würde. Das Geld dafür tat ihr in der Seele leid, aber ein Essen gehörte zu einer Beerdigung , sie würde sich nicht darum drücken können. Glücklicherweise waren ohnehin nicht viele Leute erschienen; Verwandte gab es nicht mehr, und es hatten sich neben dem Pfarrer nur ein paar Nachbarn und ehemalige Skatbrüder des Verstorbenen eingefunden. Das würde alles in allem nicht zu teuer werden, wenn auch die Männer eine Menge trinken würden – unter dem Vorwand, sich aufwärmen zu müssen, denn es wehte ein kühler Wind in dieser letzten Märzwoche, und alle hatten auf dem Friedhof gefroren.
    Lisa war froh, eine Viertelstunde für sich zu haben. Sie wünschte, sie hätte sich ganz allein von ihrem Vater am Grab verabschieden dürfen. Die letzten Monate waren so qualvoll gewesen, für ihn und für sie, daß ihr sein Tod zunächst in erster Linie Erleichterung verschafft hatte. Jetzt muß er nicht mehr leiden, hatte sie als erstes gedacht, und dann: Nun bin ich frei.
    Sie war frei, aber sie war auch sehr einsam.
    Das Telefon klingelte, als sie gerade ihren Mantel auszog. Mit ihren schmutzigen Schuhen lief sie rasch zum Apparat, lehmige Fußabdrücke hinterlassend.
    »Ja?« meldete sie sich.
    Es war Kommissar Hülsch. Er fragte, ob er störe, und sie erwiderte, sie habe gerade ihren Vater beerdigt.
    Er war betroffen. »Oh – mein Beileid. Ich werde später noch einmal anrufen.«
    »Nein, nein. Ich habe ein paar Augenblicke Zeit. Worum geht es?«

    »Es hat sich ein Mann bei uns gemeldet, der Ihre Schwester im Juni des vergangenen Jahres, vermutlich an ihrem Todestag, im Auto von Augsburg mitgenommen und etwa zwei Kilometer entfernt von Ihrem Dorf an der Landstraße abgesetzt hat. Er hatte sie an der Augsburger Ausfahrt Richtung Landsberg aufgegriffen. Sie stand dort und trampte.«
    »Ach!« Lisa merkte, wie ihr Herz schneller schlug. »Wirklich? Wer ist dieser Mann?«
    »Ein Versicherungskaufmann aus Augsburg. Er wollte an jenem Tag zu einem Kunden, der am Starnberger See wohnt.«
    »Warum meldet er sich erst jetzt ?«
    »Er hatte von dem Mord an Ihrer Schwester natürlich damals schon in der Zeitung gelesen. Und er hat sie auch auf dem Foto erkannt. Er hatte Angst, sich zu melden. Das erscheint mir verständlich: Sie ist in sein Auto eingestiegen, und später lag sie ermordet im Wald. Er fürchtete, man werde ihn verdächtigen, und er würde nicht beweisen können, daß er nicht der Täter war. Also beschloß er, vorsichtshalber den Mund zu halten.«
    »Bis jetzt …«
    »Bis jetzt. Vor zwei Wochen hat er alles

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