Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
aus den Dornen zu befreien.«
»O mein Gott!« Meine Hand hatte er nicht losgelassen. »So schlimm ist es?«
»Rabbi Natanael ist nicht nur mein Freund, sondern auch mein Arzt. Ich vertraue seiner Diagnose.«
»Ihr seid noch so jung, Niketas: erst fünfunddreißig. Was könntet Ihr noch alles erreichen! Sollte die Kirchenunion während dieses Konzils zustande kommen, könntet Ihr eines Tages sogar Papst werden, der erste griechische Papst seit Jahrhunderten. Dann könntet Ihr diese Niederlage von Ferrara, die Unterwerfung der orthodoxen Kirche und den demütigenden Kniefall des byzantinischen Kaisers vor dem römischen Papst, in einen triumphalen Sieg verwandeln! Niketas, mein lieber Junge! Von ganzem Herzen werde ich Gott anflehen, Euch noch nicht zu sich zu rufen!«
»Eure Gebete um mein Seelenheil werde ich benötigen, Allheiligkeit. Denn heute Morgen habe ich mich entschieden ...«
Die dichten Weihrauchschwaden verursachten mir einen leichten Schwindel. Schwer lastete die mit Edelsteinen geschmückte Krone auf meinem Kopf, das steife Brokatgewand behinderte mich. Ich war erschöpft und sehnte mich nach der Ruhe meiner Klosterzelle.
Besorgt beobachtete mich der Kaiser, als ich nun, nachdem mir der Diakon das gewichtige Evangeliar abgenommen hatte, mit meiner Auslegung der Heiligen Schrift begann.
Obwohl ihm die eisige Winterkälte in Ferrara Schmerzen bereitete, hielt sich der Basileus sehr aufrecht auf dem Thron. Die Gicht plagte ihn derart, dass er kaum laufen konnte und in die Kirche getragen werden musste. Er trug die perlenbestickte und golddurchwirkte Purpurrobe, die ebenso steif und schwer war wie mein Ornat, die kaiserlichen Purpurstiefel und eine goldene Krone mit langen Schnüren von Perlen, Rubinen und Saphiren, die bis auf seine Schultern herabfielen.
Neben ihm saß sein Bruder Demetrios. Auch er ließ mich nicht aus den Augen - allerdings weniger aus brüderlicher Besorgnis, als vielmehr in der Hoffnung, ein erneuter Ohnmachtsanfall könnte mich in aller Öffentlichkeit stürzen lassen. Hatte Demetrios dem Diakon befohlen, derart viel Weihrauch zu verbrennen?
Der hoch gewachsene Mann neben ihm war mir nicht vorgestellt worden. Er hatte auf dem Sessel Platz genommen, der dem Protokoll nach Niccolò d'Este, dem Herrscher von Ferrara, zustand - doch der Marchese hatte es vorgezogen, an der lateinischen Weihnachtsmesse des Papstes in der Kathedrale teilzunehmen. Er trug eine lange, scharlachrote Robe aus Florentiner Tuch und eine Haube in derselben Farbe. Ein Siegelring war das einzige Abzeichen seiner Macht. Wer war er?
Nachdem ich meine Predigt beendet hatte, begann die Feier der Eucharistie. Der Chor intonierte den Hymnus der Cherubim, während der Diakon den Altar, die Weihnachtsikone, die Priester und mich beweihräucherte. Anschließend trugen der Diakon und ich den Teller mit dem Brot und den Kelch mit dem Wein zum Altar.
Nach dem Glaubensbekenntnis hob ich die Decke, mit der Teller und Kelch zugedeckt waten, und bewegte sie feierlich über den Gaben. Diese Handlung symbolisiert das Wehen des Heiligen Geistes. Gewiss würde Kardinal Cesarini, der offenbar auf Wunsch Seiner Heiligkeit an der Messe teilnahm, sofort nach dem Ende des Gottesdienstes zu Papst Eugenius eilen, um ihm zu berichten, dass ich dem orthodoxen Ritus gemäß das Filioque weggelassen hatte. Das Filioque war einer der Streitpunkte des Konzils - die Frage, ob der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausging, was die lateinische Kirche behauptete, die griechische jedoch leugnete.
»Lasst uns Dank sagen dem Herrn!« Ich sprach die Einsetzungsworte des Abendmahls und hob den Teller mit dem gesäuerten Brot: »Nehmt und esst! Dies ist mein Leib, der für euch gebrochen wird zur Vergebung der Sünden.« Dann nahm ich den Kelch. »Trinkt alle daraus! Das ist mein Blut des neuen Bundes, das für euch und viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«
Ich betete die Anrufung des Heiligen Geistes, wie ich es schon tausend Mal getan hatte, und vollzog die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut von Jesus Christus. Aber es fiel mir unendlich schwer. Ich konnte nicht mehr an den Sinn der Eucharistie glauben. Ich bezweifelte die Göttlichkeit Jesu Christi. Ich glaubte nicht mehr, dass ich in apostolischer Nachfolge sein Stellvertreter auf Erden war.
Nach dem Vaterunser nahm ich das Brot und aß es, dann führte ich den Kelch zu den Lippen und trank vom Wein.
Nicht nur mein Gewissen quälte mich. Mir war schwindelig vom
Weitere Kostenlose Bücher