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Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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einstürzt«, frotzelte er und sprang auf, um mit seiner Kerze in den Gang zu leuchten. »Nichts zu sehen.« Er hockte sich wieder neben mich. »Vielleicht war's eine Sandviper.«
    Besorgt sah ich mich nach Schlangen und Skorpionen um. Dann blickte ich zu den gerissenen Gewölbesteinen empor: Wir sollten uns nicht allzu lang in der Kammer aufhalten und unser Leben riskieren.
    »Der Codex stammt also aus dem vierten Jahrhundert?«
    »Genau. Im ersten und zweiten Jahrhundert sind sehr viele Evangelien entstanden. Der Kirchenvater Irenaios, der um das Jahr 180 Bischof von Lyon war, war verbittert, weil viele Häretiker Bücher verfassten, die nicht mit dem wahren Glauben übereinstimmten. Im zweiten Jahrhundert lasen die christlichen Gemeinden unterschiedliche Evangelien. Das Johannes-Evangelium wurde nicht in allen Gemeinden als wahr anerkannt, und in Ägypten war das Thomas-Evangelium sehr beliebt.
    Irenaios von Lyon hatte eine großartige Vision: Er wollte eine Kirche erschaffen, die nur einen Glauben hatte. Entschlossen ging er ans Werk: Er versuchte die Häresien in seinem monumentalen Buch zu widerlegen. Er rief die Gläubigen zur Vernichtung der ketzerischen Schriften auf und erklärte von den vielen Evangelien nur vier für wahr, weil sie angeblich von den Aposteln Matthäus, Markus, Lukas und Johannes verfasst worden seien.«
    »Sieh mal einer an. Dann war es also der Bischof von Lyon und nicht ein römischer Papst oder ein byzantinischer Kaiser, der für alle Zeit festlegte, woran ein Christ glauben muss und woran nicht. Und was die unveränderliche und ewige Wahrheit ist.«
    »Du hast es erfasst. Aber was mich wirklich wütend macht, ist die Tatsache, dass Irenaios die Gläubigen ermahnte, den Priestern zu gehorchen, da sie angeblich Nachfolger der Apostel sind und die Wahrheit kennen. Mit anderen Worten: unfehlbar sind!«
    »Luca war auch ...«
    »Mein Vater hat sich das Denken niemals verbieten lassen - nicht als Inquisitor, nicht als Stellvertreter des Papstes in Rom! Nein, Tayeb, es waren die Priester, die immer Recht haben wollen, weil ihnen Gehorsam geschuldet wird, die mich, ein dreijähriges Kind, in den Kerker der Inquisition gesperrt haben.«
    Schmerzhafte Erinnerungen überfielen mich.
    Düsterer Fackelschein ... Bewaffnete, die mich in eine finstere Zelle schleppten und brutal auf den Boden stießen ... Dominikaner in schwarzweißen Habites, die mir wehgetan hatten ... Die verzweifelten Schreie meiner Mutter unter der Folter ... Das angsterfüllte Gesicht meines Vaters, des Inquisitors von Rom, der über uns richten sollte.
    Ich fuhr mir über das Gesicht und erzählte weiter: »Athanasios, der Patriarch von Alexandria, war ein glühender Bewunderer von Irenaios. Zum Osterfest 367 belehrte er die Gläubigen über die Texte, die er als von Gott inspiriert ansah: die Evangelien und Briefe des Neuen Testaments, wie es noch heute existiert. Alle anderen Schriften, die die Menschen angeblich in die Irre führten, weil sie dem Glaubensbekenntnis widersprachen, sollten vernichtet werden. Auf dem Konzil von Nikaia im Jahr 325 war Jesus durch Abstimmung der Bischöfe - mit zwei Gegenstimmen! - und per Dekret des Kaisers Konstantin zum Gott erhoben worden. Unzählige Bücher müssen damals in Ägypten verbrannt worden sein: gnostische Evangelien und vielleicht auch Papyrusrollen aus der Bibliotheca Alexandrina.«
    Tayeb deutete auf die versiegelten Amphoren. »Du glaubst, dass nicht alle Gläubigen dem Befehl zur Bücherverbrennung gehorchten.«
    »Genau. Irgendjemand brachte diese Tonkrüge in die leer geräumte Genisa der verlassenen Synagoge, um sie hier zu verstecken. Niemand würde die ketzerischen Schriften hier suchen - es war ja lebensgefährlich.«
    »Das ist es immer noch«, erinnerte mich Tayeb ernst.
    »Das stimmt«, gab ich zu, meinte jedoch nicht die Gefahr des Einsturzes der Genisa. »Die Kirche verbrennt noch immer Schriften, die der offiziellen Lehre widersprechen. Dabei geht es nicht um den wahren Glauben. Es geht, um mit Irenaios' Worten zu sprechen, um den Gehorsam der Gläubigen. Um es mit meinen Worten zu sagen: Es geht um Macht, die mit Gewalt gerechtfertigt wird.«
    Mein Blick blieb an einem Papyrusfetzen hängen, der aus einem der zerstörten Tonkrüge ragte. Ein Stein aus der geborstenen Wand der Genisa hatte das Gefäß zerbrochen und den Papyrus zerfetzt. Ein paar Schnipsel lagen zwischen den Scherben, der Rest ruhte vermutlich unter dem Quader.
    Ich hob ein Fragment auf.
    Die

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