Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht fuhr.
Wie konnte er mich derart bedrängen! Er wusste doch, dass ich mit Gott um eine Entscheidung rang!
»Ihr werdet mich würdig vertreten, mein Sohn.«
Als ich nicht antwortete, hatte er milde gelächelt:
»Vielleicht werdet Ihr bald Patriarch sein, Niketas.«
»Es gibt würdigere Priester als mich, die anstelle Eurer Allheiligkeit die Weihnachtsmesse zelebrieren können!«, missachtete ich seinen Herzenswunsch, den ich ihm nicht erfüllen konnte - nicht gegen mein Gewissen. »Die Metropoliten von Ephesos und Nikaia sind die ranghöchsten ...«
»Wenn der Erzbischof von Ephesos die Messe hält, ist das ein Affront gegen den Papst!«, mahnte er. »Niketas, Ihr wisst, wie sich Markos Eugenikos vor kurzem gegen den Primat des Papstes ausgesprochen hat ... und wie der Papst während der letzten Konzilssitzung Blitz und Donner gegen unseren Freund Markos schleuderte. Ihr wart es doch, der durch eine beherzte Rede die erhitzten Gemüter auf griechischer wie auf lateinischer Seite besänftigte und so mutig verhinderte, dass zornige Bannflüche hin- und herflogen.
Sogar der Papst hat Euch aufmerksam zugehört, ohne Euch ins Wort zu fallen. Er schätzt Euch als einen Mann, der Verantwortung übernehmen kann und will, als einen besonnenen, aber nicht minder resoluten Hirten, der eine Herde aufgescheuchter Erzbischöfe, Metropoliten und Kardinäle beruhigen und ermahnen kann. Nein, Niketas, Seine Majestät der Kaiser wünscht, dass Ihr den Gottesdienst zelebriert.«
»Ich hatte den Basileus gebeten, mich bis Anfang Januar ins Kloster zurückziehen zu dürfen, um meinen Seelenfrieden wiederzufinden. Diesen Wunsch hat er mir gewährt!«
Patriarch Joseph, der Sohn des bulgarischen Zaren und einer byzantinischen Prinzessin, hatte das mönchische Leben geliebt. Der ehemalige Metropolit von Ephesos, seit nunmehr dreiundzwanzig Jahren Patriarch von Konstantinopolis, hatte sich als junger Mann in das Kloster auf dem Berg Athos zurückgezogen. Joseph, der mich seit meinem achten Lebensjahr kannte, konnte sehr gut nachempfinden, wonach ich mich sehnte.
»Und ich will auch, dass Ihr die Messe haltet!«, hatte er besänftigend auf mich eingeredet. »Niketas, habt Erbarmen mit einem alten, kranken Mann, und tut mir den Gefallen. Und vor allem: Tut ihn Euch selbst. Nein, bitte lasst mich ausreden, mein Sohn! Ich kenne Eure Zweifel - wie oft haben wir darüber gesprochen!
Besinnt Euch darauf, was Ihr seid, Niketas: ein Mensch, der irren kann. Aber vor allem seid Ihr ein geweihter Priester! Gott wird Euch an der Hand nehmen und Euch den rechten Weg zeigen. Haltet fest am Glauben! Neben Markos Eugenikos und Basilios Bessarion seid Ihr der brillanteste Kirchengelehrte von Byzanz. Ich kann Euch nichts lehren, was Ihr nicht selbst viel besser wisst. Als Euer Patriarch kann ich Euch nur ein liebevoller Vater sein, der Euch von ganzem Herzen rät: Achtet nicht auf die gotteslästerlichen Einflüsterungen Eures Freundes, Rabbi Natanael.« Er hatte schwermütig geseufzt. »Einen Juden zu Eurem Sekretär und Vertrauten zu machen! Wie konntet Ihr das tun!«
»Natanael ist wie ein Bruder für mich.«
»Niketas, ich flehe Euch an: Besinnt Euch!«
»Das habe ich getan, Allheiligkeit«, hatte ich gestanden. »Ich bin ein verirrtes Schaf, das die Herde weit hinter sich gelassen und sich allein durch das Dornengestrüpp gekämpft hat.«
»Kennt Ihr das Gleichnis vom verlorenen Schaf, Niketas? ›Wenn ein Hirte hundert Schafe hat und eins davon sich verirrt, lässt er nicht die neunundneunzig im Pferch und geht das irrende suchen? Und wenn er es findet, freut er sich nicht mehr über dieses eine als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben?‹« Er hatte meine Hand ergriffen. »Lasst mich Euer Hirte sein, Niketas. Lasst mich Euch zur Herde zurückbringen.«
»Das verirrte Schaf hängt schwer verletzt im Dornengestrüpp fest. Je länger es um seine Freiheit ringt, desto tiefer bohren sich die spitzen Dornen in sein Fleisch.«
»Ich werde es befreien und seine Wunden liebevoll versorgen. Ich werde seinen Schmerz lindern und mich um dieses leidende Schaf kümmern, bis es wieder aus eigener Kraft auf der Weide herumspringen kann - so wie früher.«
Sollte ich es ihm sagen? Nach Liebe sehnte ich mich, nach Herzenswärme und Geborgenheit, nicht nach Mitleid oder nach Vergebung meiner geistigen Verirrung.
Doch dann hatte ich mich ihm schweren Herzens anvertraut: »Vielleicht stirbt das Schaf, während Ihr noch versucht, es
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