Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
derselben Nacht floh Caedmon zu seinem Förderer und Freund Henry Chicheley, der ihm die Beichte abnahm und ihn zur Sündenvergebung nach Rom schickte. Also segelte Caedmon nach Calais und pilgerte zu Fuß nach Paris, Lyon und Chambery, überquerte die Alpen und erreichte kurz vor Weihnachten 1437 Florenz, wo er Papst Eugenius um Vergebung seiner Sünden anflehte.
In Santa Maria Novella lernte er Kardinal Vitelleschi kennen. In dessen Gefolge ritt Caedmon noch vor dem Christfest nach Rom und beendete seine Pilgerreise mit dem Besuch der sieben Wallfahrtskirchen. Nach Weihnachten zog er sich für einige Wochen ins Benediktinerkloster Montecassino zurück, um in Ruhe darüber nachzudenken, was er künftig tun wollte. Das war die Klausur, von der mir der Abt berichtet hatte.
Trotz seiner Buße, trotz der Vergebung durch Eugenius und trotz des Sündenablasses in Rom reute Caedmon der Tod seines Bruders. Nach England konnte er nicht zurückkehren, denn er fürchtete nicht nur die Strafverfolgung, der er sich durch seine Pilgerfahrt entzogen hatte, sondern auch die Rache seiner Brüder. Niemals konnte er beweisen, dass es nur ein Unfall war, der seinen ältesten Bruder das Leben gekostet hatte - und kein kaltblütiger Mord wegen verletzten Stolzes.
Nach der Schneeschmelze im Frühjahr 1438 kehrte Caedmon nach Rom zurück, um als Sekretär in die Dienste von Kardinal Vitelleschi zu treten.
»Das Empfehlungsschreiben des Patriarchen ist im August 1438 verfasst worden«, bemerkte ich. »Ihr wart nicht lange bei Seiner Eminenz.«
Er schüttelte den Kopf und hielt den Blick gesenkt.
»Ihr habt ihn verlassen und seid nach Florenz zurückgekehrt, um ins Olivetanerkloster San Miniato al Monte einzutreten, eines der strengsten und asketischsten Klöster Italiens. Gewiss eine schwere Entscheidung nach den Annehmlichkeiten im Dienst des Herzogs und des Kardinals! Warum, Bruder Caedmon? Was ist in Rom geschehen?«
Er sah auf. »Seine Eminenz hat ...« Er verstummte. »Er hat mich gezwungen ...« Mit beiden Händen fuhr er sich über das glühende Gesicht.
»Was hat er getan?«, fragte ich sanft. Mein Gott, dieser Blick!
»Caedmon, wenn Ihr darüber nicht sprechen könnt, weil es Euch noch zu sehr schmerzt ...«
»Nein, Mylady! Auch wenn mich das, was er von mir verlangte, zutiefst gedemütigt hat, so habt Ihr doch ein Recht, es zu erfahren«, wand er sich zwischen dem Wunsch zu schweigen und zu vergessen und dem Bedürfnis, sich endlich jemandem anzuvertrauen. Dann offenbarte er mir die furchtbare Wahrheit:
»Es war spät in der Nacht, als der Kardinal von Santa Maria sopra Minerva in den Vatikan zurückkehrte und mich rufen ließ. Ich dachte, er wolle wegen der Folterung eines Mönchs, der er dort am Abend beigewohnt hatte, mit mir sprechen. Der Frater hatte die verkommene Moral der Kirche öffentlich gegeißelt, den Papst als Häretiker beschimpft und den Kardinal als Antichrist. Die grausame Folter hatte ihn erregt, und er verlangte ... dass ich ...« Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Wie schwer es ihm fiel, sich mir anzuvertrauen! »Ich musste vor ihm auf die Knie fallen und ... Dann forderte er ... Bitte vergebt mir, Mylady!«, murmelte er mit schamrotem Gesicht. »Ich weigerte mich, ihm zu gehorchen. Großer Gott, wie er dann tobte! Er sprang auf und warf mich mit Gewalt auf den Boden. Er ist ein sehr kräftiger Mann - bevor er Kardinal wurde, war er ein Condottiere. Dann stürzte er sich auf mich, zerriss meinen Habit und dann ...« Caedmon schlug sich die Hand vor die bebenden Lippen.
»Er hat Euch vergewaltigt!«, murmelte ich fassungslos.
Der junge Benediktiner nickte mit gesenktem Blick.
»Mein Gott, was hat er Euch nur angetan! Bitte vergebt mir meine Neugier. Ich hätte Euch nicht fragen dürfen, was zwischen Euch geschehen ist!«
»Doch!«, versicherte er mir. »Ich musste es Euch erzählen - wie könntet Ihr mir sonst vertrauen? Bitte glaubt mir, Mylady, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als endlich dem Kloster zu entkommen und eine Beschäftigung zu haben, die mich fordert. Ich kann nicht nach Rom zurückkehren. Und ich will auch nicht in Santa Maria Novella für Seine Heiligkeit arbeiten, denn dort müsste ich fürchten, dass ich eines Tages ihm begegne - diesem Satan aus dem finstersten Inferno!«
»Mein Unternehmen richtet die Bibliothek des Kardinals ein. Wenn Ihr für mich arbeitet, werdet Ihr als mein Sekretär Briefe an Seine Eminenz verfassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
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