Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
sagtet Ihr, dass Ihr mit mir sprechen wollt. Was kann ich für Euch tun, Bruder Caedmon?«
Mit gesenkten Lidern legte er zwei Pergamente vor sich auf den äußersten Rand des Schreibtischs. Dann blickte er auf. »Ich würde gern als Sekretär in Eure Dienste treten, Mylady.«
Also doch!, dachte ich. Der Abt von Montecassino hatte Recht: Caedmon suchte neue Herausforderungen außerhalb der Klostermauern.
Ich lehnte mich auf meinem Sessel zurück. »Aber ich habe bereits einen Sekretär.«
»Mylady, ich weiß, dass Ihr nach dem Tod Eures Vaters - Gott sei seiner Seele gnädig! - Signor Tayeb zu Eurem Sekretär ernannt habt ...« Ein feines Lächeln huschte über sein Gesicht, dann senkte er die Lider. ».. doch er beherrscht gewiss nicht so viele Sprachen in Wort und Schrift wie ich. Bitte verzeiht meine Unbescheidenheit, Mylady! Außer Englisch, Französisch und ein wenig Italienisch spreche ich noch fließend Lateinisch, Griechisch und Hebräisch. An den Universitäten von Oxford und Paris habe ich Theologie und Philosophie studiert. Die Sorbonne habe ich als Doktor der Theologie verlassen, und als ich nach England zurückkehrte ...«
»... habt Ihr als Sekretär für Humphrey Plantagenet of Lancaster gearbeitet, Herzog von Gloucester und Lordprotector von England.« Als er verblüfft aufsah, gestand ich: »Ich habe mich über Euch erkundigt, Bruder Caedmon.«
Warum starrte er mich so erschrocken an?
Ich spürte, dass ihn eine Aura des Mysteriums umgab, die er selbst erschaffen hatte. Geheimnisvolle Türen, die in verstaubte, dunkle Kammern führten, hatten mich schon immer fasziniert. Verschlossene Truhen ohne Schlüssel. Verschollene Bücher, die seit Jahrhunderten niemand mehr gelesen hatte. Und Menschen, die sich in ein feines Gespinst von Mysterien wickelten, wie in einen schützenden Kokon. Doch wovor fürchtete sich Caedmon? Was hatte er getan, dass er niemals nach England zurückkehren durfte?
Er schob eines der beiden mitgebrachten Pergamente über den Schreibtisch. »Ein Empfehlungsschreiben des Herzogs von Gloucester.«
Ich entfaltete das steife Pergament. Der Herzog hatte Caedmons Dienste als sein Sekretär geschätzt. »... hochgebildet ... gottesfürchtig ... vertrauenswürdig ...«, las ich das eigenhändige Schreiben.
Wortlos gab ich es Caedmon zurück, der mir die zweite Referenz überreichte. Als ich das Siegel erkannte, erstarrte ich: Giovanni Vitelleschi!
»Ihr habt für Kardinal Vitelleschi gearbeitet?«, fragte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
»Ja, Mylady«, nickte Caedmon. »Bevor ich nach Florenz kam, stand ich in den Diensten Seiner Eminenz.«
»Als sein Sekretär?« Ich entfaltete das Schreiben und überflog die ersten Zeilen, die voll des Lobes waren. Vitelleschis Empfehlung war im August 1438 verfasst worden. Seit September lebte Caedmon im Kloster San Miniato. Was hatte er in den letzten drei Monaten getan? Einige Male hatte ich ihn in Lucas Bibliothek gesehen.
»Ja, ich genoss das ... ähm ... Vertrauen Seiner Eminenz.«
Ich ließ das Pergament sinken und sah ihm in die Augen.
Wieso dieses Zögern, dieses vieldeutige und nichtssagende Wort ›Vertrauen‹, das überhaupt nicht zu seiner geschliffenen Ausdrucksweise passte? »Steht Ihr noch immer in seinen Diensten, Bruder Caedmon?«
Er schüttelte stumm den Kopf. Seine im Schoß gefalteten Hände verkrampften sich. »Warum nicht?«
Der Frater konnte mir nicht in die Augen sehen. »Ich habe ihn auf eigenen Wunsch verlassen.«
Was ist zwischen Caedmon und dem Kardinal geschehen?, fragte ich mich beunruhigt und beobachtete den Benediktiner, der auf seine zitternden Hände starrte. Ich ahnte, welche Gottheit Caedmon anbetete: die Macht, die schützt! Was war geschehen, dass Caedmon den mächtigsten Kardinal der römischen Kirche verließ und Vitelleschi trotz offenkundiger Streitigkeiten mit seinem Sekretär eine derartige Lobeshymne auf Caedmon anstimmte?
Und was erwartete er nun von mir? Ich war weder Herzog noch Kardinal! Nun, ich hatte da so eine Ahnung ...
Konnte ich Caedmon vertrauen? Ich wusste es nicht. Doch mir gefielen sein zurückhaltendes Auftreten, die geschliffenen Manieren, seine bemerkenswerten Sprachkenntnisse und sein Wunsch, den Klostermauern zu entkommen. Er war liebenswert, daher beschloss ich, das Gespräch fortzusetzen.
»Erzählt mir mehr von Euch, Bruder Caedmon!«
»Ich bin der illegitime Sohn eines Earls.« Vor fünfundzwanzig Jahren hatte sein Vater die junge Kammerzofe eines
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