Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Ihr ihm hier im Palazzo d'Ascoli begegnen werdet, während er in Florenz ist. Kardinal Vitelleschi sammelt seltene Bücher.«
Der junge Benediktiner nickte schicksalsergeben und wartete auf meine Entscheidung.
Was sollte ich bloß tun? Ich mochte Caedmon und bewunderte die unbeirrbare Entschlossenheit, mit der er sich aus der Gosse emporgekämpft hatte. Sein Schicksal rührte mich. Aber durfte ich ihm vertrauen?
Seit meiner Rückkehr nach Florenz war Tayeb meine rechte Hand, aber in einigen Monaten wollte er nach Timbuktu zurückkehren. Ich brauchte einen Sekretär, der mir Tag und Nacht zur Verfügung stand und im Palazzo wohnte.
»Caedmon, ich würde mich ...«
Ein Klopfen unterbrach mich. Tayeb trat ein. »Niketas wartet in deinem Arbeitszimmer auf dich.«
»Sag ihm, er möge sich noch einen Augenblick gedulden. Ich komme gleich.«
Mein Freund nickte und verschwand.
Ich wandte mich wieder dem Benediktinermönch zu.
»Ich würde mich freuen, wenn Ihr nun nach San Miniato zurückkehren würdet, um Eure Sachen zu holen«, lächelte ich. »Tayeb wird Euch nachher den Raum zeigen, der Euch zur Verfügung steht, solange Ihr als mein Sekretär arbeitet. Ich hoffe, Ihr werdet Euch bei uns wohlfühlen!«
»Das werde ich ganz sicher!«, versicherte er mir mit leuchtenden Augen. Er ergriff meine ausgestreckte Hand und küsste sie innig. »Ich danke Euch für Euer Vertrauen!«
Nachdem Caedmon gegangen war, bat ich Tayeb, sich um ihn zu kümmern, da ich in den Abendstunden verhindert war: Cosimo wollte zum Abendessen kommen. Dann ging ich in mein Arbeitszimmer.
Niketas umarmte mich, und wie letzte Nacht am Grab meines Vaters genoss ich seine zärtlichen Liebkosungen. Wir küssten uns mit aller Leidenschaft.
Unser Kuss schmeckte nach Sehnsucht, nach der bittersüßen Erkenntnis, dass wir beide endlich den Menschen gefunden hatten, in dessen Armen wir uns geborgen fühlen konnten - und ihn nicht lieben durften. Er war Priester in alle Ewigkeit. Es gab keine Hoffnung für unsere Liebe.
Seufzend entwand ich mich seiner Umarmung. »Komm, ich zeige dir jetzt das Evangelium!« Ich führte ihn zu meinem Schreibtisch. »Setz dich!«
Still beobachtete er, wie ich den Bücherstapel zur Seite schob und die Rosenholzkassette öffnete, um die vier Fragmente, die ich Luca in Tayebs Silberamulett geschickt hatte, auf dem Schreibtisch auszubreiten. Seine Lippen bewegten sich, als er die verblasste Schrift auf den Papyrusfetzen las. Behutsam nahm er einen nach dem anderen in die Hand und legte ihn zurück. Nachdem er den Spruch vom verachteten Propheten gelesen hatte, sah er auf. »Dieses Evangelium scheint das älteste zu sein. Ich glaube, dass die Szene in der Synagoge von Nazaret aus diesem Logion entstanden ist.«
»Ich bin derselben Meinung.« Ich zeigte ihm Lucas Notizzettel. »Wie auch mein Vater. Siehst du? Er hielt dieses Evangelium für die Niederschrift der ältesten mündlichen Überlieferung.«
Niketas ergriff meine Hand. »Ich bin sehr glücklich, dass ich es sehen darf!«
Meine Hand ruhte sicher und geborgen in der seinen. »Es gibt vier weitere Logien, die Luca nicht kannte.« Behutsam entzog ich ihm die Hand, holte die vierzehn zerbrochenen Fragmente aus der Schatulle und schob sie auf dem Tisch zusammen. »Ich habe sie vorgestern rekonstruiert, als du mit Eugenius zu Abend gegessen hast. Ich konnte nicht schlafen und habe die ganze Nacht daran gearbeitet.«
Niketas beugte sich über den ersten Spruch. »Jesus sprach: Selig ist der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefundene« Er blickte auf. »Dieses Logion erinnert mich an die Seligpreisungen der Bergpredigt. Und an einen Spruch Jesu im Evangelium des Matthäus: ›Kommt her zu mir, ihr alle, die ihr kämpft. Ich will euch Ruhe geben‹. Und noch an einen anderen im Jakobus-Brief: ›Selig ist der Mann, der die Versuchung standhaft erträgt. Denn nachdem er sich bewährt hat, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott denen verheißen hat, die ihn lieben.«‹
Ich lächelte, weil Niketas Jakobus zitierte - als ob er ahnte ...
»Was steht auf der Rückseite des Fragments?«
»Die Schrift ist nicht zu lesen, denn die Tinte ist blass und verlaufen.« Ich schob die nächsten Papyrusfetzen zusammen und las vor: »Jesus sprach: Das Königreich des Vaters ist ...«‹
Der Spruch war unvollständig, weil die Tinte auf der Faserstruktur des Papyrus abgeblättert war. Das Logion auf der Rückseite war ebenfalls verloren. Dann fügte ich die
Weitere Kostenlose Bücher