Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
nicht als Enkel, sondern als Söhne von Judas bezeichnen«, offenbarte Natanael. »Und Sacharja hatte einen Sohn, der einen Sohn hatte, der wiederum einen Sohn hatte, und so weiter, bis hin zu Solomon, dessen Sohn Aviram war - mein Vater.«
»Gott im Himmel! Du bist ein Nachkomme von ...«
«... Jesu Bruder Judas.«
Sie starrte ihn an und wusste erst nicht, was sie sagen sollte.
»Du erstaunst mich, Natanael! Nach allem, was deiner Familie im Lauf der Jahrhunderte durch die Kirche angetan worden ist, arbeitest du trotzdem als Niketas' Sekretär und hast ihn nach Ferrara begleitet. Wieso?«
»Ich trage eine Verantwortung, die ich nicht leugnen kann. Denn im Namen Jesu Christi sind wir Juden jahrhundertelang verfolgt worden, haben Inquisitionsprozesse erduldet, blutige Massaker, Glaubensdisputationen, Bücherverbrennungen, Demütigungen, Folter und Mord. Ich will alles tun, was in meiner Macht steht, damit dieses Leid gesühnt wird. Damit die Trauernden getröstet werden und die Verzweifelten Glaube, Hoffnung und Liebe wiederfinden. Damit Juden und Christen endlich wie Brüder leben können.
Ich glaube, dass die beiden Kirchen vereinigt werden können.
Doch diese Kirchenunion, so schwierig sie auch scheint, ist für mich nur der erste Schritt auf dem langen Weg einer Annäherung von zwei einander entfremdeten Brüdern, einem christlichen und einem jüdischen, die zu demselben Gott beten, dem Gott der Tora. Wenn sich die Christen auf Rabbi Jeschua besinnen, der als frommer Jude an jedem Sabbat in der Synagoge betete, dann werden die jüdischen Brüder die zum Bund gereichte Hand nicht ausschlagen. Die Brüder mögen sich noch hassen und verachten, doch sie sind einander nicht verloren.«
Alessandra hob die Augenbrauen und nickte bewegt. »Eine wahrhaft messianische Vision!«
»Ich bin nicht der Messias«, erwiderte Natanael ernst. »Wir Juden kennen eine Geschichte von einem jüdischen Messias, der unerkannt unter den Kranken und Bettlern vor den Toren Roms lebt. Er wartet, bis jeder von uns die Gebote hält, die Gott uns gegeben hat. Er wartet, dass wir alle - Juden und Gojim - ihm helfen, die Welt zu erretten aus Hunger, Armut, Verzweiflung, Verfolgung und Gewalt. Wenn wir dem Messias nicht den Weg bereiten, wenn wir Gottes Gebote nicht in unseren Herzen bewahren, wenn wir nicht entsprechend handeln, wird jener ersehnte Gottgesandte, sei er Elija oder Jesus, niemals kommen, um uns zu erlösen.
Nein, Alessandra, ich bin nicht der Messias. Ich bin nur ein Mensch, der die Hoffnung nicht aufgibt, durch sein Handeln etwas zu bewirken«, bekannte Natanael und ergriff meine Hand. »Und ich bin sehr glücklich, dass mein Bruder Niketas so fest an mich glaubt.«
Alessandra zögerte einen Herzschlag lang. Doch dann erhob sie sich, öffnete die Rosenholzkassette und nahm die Papyrusfragmente heraus.
»Natanael, ich würde dir gern etwas zeigen ...«
Kapitel 17
Ruhelos drehte ich mich auf die andere Seite und zog fröstelnd die Bettdecke höher. Das Kaminfeuer war schon vor Stunden erloschen. Es war kalt in meinem Schlafzimmer. Nach dem Bankett im Palazzo della Signoria hatte ich mich stundenlang im Bett gewälzt.
Das Gespräch mit Cosimo am Abend zuvor hatte mich beunruhigt. Der Podestà, der den Mord an Luca untersuchte, hatte ihm mitgeteilt, dass er noch immer nicht wisse, wer meinen Vater ermordet habe. Die Ermittler, die Cosimo nach Ferrara entsandt hatte, waren noch nicht zurückgekehrt. Er bezweifelte, dass sie Lucas Mörder finden würden, und ich teilte seine Bedenken. Der weiße Mönch war in Florenz.
»Du musst Seiner Heiligkeit vertrauen!«, hatte mir Cosimo geraten. »Eugenius war bestürzt über deine Vermutung, ein Dominikaner könnte Luca ermordet haben. Und hat er dir nicht versprochen, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen? Er hat an den Patriarchen Philotheos geschrieben. Er hat den Abt von Montecassino rufen lassen, damit du ihn zu Caedmon befragen konntest. Er hat die Bulle der Aufhebung von Lucas Exkommunikation von Scarampo verfassen lassen, damit du seine Handschrift mit der auf dem Mordauftrag vergleichen konntest. Wäre er überzeugt gewesen, dass Scarampo hinter dem Mord an Luca steckt, hätte er damit seinen engsten Vertrauten ans Messer geliefert. Die Blutrache der Colonna wäre fürchterlich. Vertrau dem Papst, so wie er dir vertraut!«
Seufzend wälzte ich mich auf die andere Seite.
Mein Gespräch mit Cesarini während des Empfangs für Isidor hatte mich
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