Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Gartentor, wo Tayeb ihn mit gezücktem Dolch erwarten würde.
Ich trieb ihn durch den Garten, bis der Dominikaner über eine aus dem verschneiten Boden ragende Wurzel stolperte. Doch er fing sich wieder und rannte nun nach rechts zur hohen Gartenmauer. An einem Ast zog er sich hoch, kletterte auf die Mauer, schwang die Beine hinüber und sprang auf der anderen Seite hinunter.
Dieser Mann war kein Mönch, der seine Tage im Gebet verbrachte. Er war ein Kämpfer. Aber warum floh er dann vor mir? Wieso griff er mich nicht an - wie meinen Vater? Wer war er?
Wie er überwand ich die Gartenmauer, ließ mich auf die von Fackeln erleuchtete Via Larga fallen und blickte mich um.
Keine Spur von Tayeb.
In diesem Augenblick verschwand der Mönch in einem finsteren Durchlass neben dem alten Palazzo Medici.
Was sollte ich tun? Auf Tayeb warten und den Mörder meines Vaters zum zweiten Mal entkommen lassen? Nein!
»Hast du vergessen, wie dein Großvater Marcantonio Colonna hingerichtet wurde?«, hatte Prospero mich vor vier Tagen verbittert gefragt. »Wie unsere Cousins Lionello und Giordano starben? Wie Stefano ermordet wurde? Wie ich selbst vor acht Jahren aus Rom fliehen musste? Und nun die Attentate auf Luca, dich und mich!«
Nein, ich durfte Lucas Mörder nicht entkommen lassen!
Also eilte ich über die Via Larga und folgte dem Dominikaner in den finsteren Durchlass neben dem Palazzo Medici - Cosimos Bruder Lorenzo wohnte hier mit seinem Sohn Pier Francesco.
Die benachbarten Paläste standen so nah beieinander, dass ich die Mauern auf beiden Seiten mit ausgestreckten Händen berühren konnte. Die winzige Gasse wurde als Müllgrube benutzt. Ich glitt auf einem Haufen von halb gefrorenen Küchenabfällen aus und wäre beinahe in den stinkenden Müll gestürzt. Doch im letzten Moment fing ich mich. Eine Ratte huschte fiepend aus einem der Abfallhaufen und verschwand in der Finsternis.
Stolpernd stapfte ich durch die Haufen von Unrat, bis ich schließlich die Via San Gallo erreichte. Mein Blick flog die Straße entlang: Hundert Schritte entfernt flüchtete der Assassino in Richtung Santa Maria del Fiore. Ich hetzte ihm hinterher, den Borgo San Lorenzo hinunter bis zum Domplatz. Als ich schließlich schwer atmend das im Mondlicht leuchtende Baptisterium erreichte, war er verschwunden.
Verdammt, er war mir entwischt!
Doch dann bemerkte ich, wie eines der großen Bronzetore von Santa Maria del Fiore langsam ins Schloss fiel. Er war in die Kathedrale geflohen.
Das Portal war nachts verschlossen. Woher hatte der Mönch den Schlüssel? Vom ehemaligen Erzbischof von Florenz? Von Giovanni Vitelleschi!
Bevor ich die Domstufen emporstieg, warf ich einen Blick in die Via Larga, die nach San Marco führte. Wo war Tayeb? Einen Herzschlag lang erwog ich, zum Palazzo d'Ascoli zu eilen, um Alexios, Tito, Caedmon und Floriano zu wecken. Doch das würde viel zu lange dauern! Sie ahnten ja nicht einmal, dass wir den Palazzo verlassen hatten ...
Ich lehnte mich gegen das schwere Portal, schob es auf und schlüpfte in die Kathedrale.
Der Mond schien durch die großen Rundfenster des Oktogons unterhalb der gewaltigen Domkuppel und tauchte den achteckigen, in Weihrauchnebel gehüllten Altarraum und die zwölf lebensgroßen Statuen der Apostel in ein geheimnisvolles Licht. Die Apsis und die hoch aufstrebenden Bögen und Pfeiler des Hauptschiffs, wo die Tribünen für die Konzilssitzungen errichtet worden waren, ruhten in tiefster Finsternis.
Lautlos schlich ich durch das rechte Seitenschiff zum Altarraum.
Ein Geräusch hallte durch die Kathedrale. Eine Tür? Die Sakristei! War er dorthin geflohen? Die Kammer auf der anderen Seite des Doms hatte keinen Ausgang zur Piazza!
Ich umklammerte den Griff meines Dolches und huschte bis ins Halbdunkel des Altarraums.
Dann sah ich ihn! Der Mönch schlüpfte aus der Sakristei und rannte mit fliegendem Habit um die Altarstufen herum zum linken Seitenschiff. Die Kapuze hatte er ins Gesicht gezogen.
Ungläubig starrte ich ihn an: Er trug nun eine schwarze Soutane! Hatte er sich in der Sakristei in aller Eile umgezogen? Nein, dafür hatte er keine Zeit gehabt! Er musste die Soutane unter seinem Habit getragen haben!
Ich erinnerte mich an den Dominikaner, der vor einer Stunde über den Domplatz nach Santa Maria Novella geeilt war. Er war derselbe Mönch! Er hatte sich in der Sakristei den weißen Habit über sein Ordensgewand gezogen, um uns unerkannt zu folgen.
Der schwarze Mönch stürmte das
Weitere Kostenlose Bücher