Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Flucht über die Dächer und meiner Vermutung, dass der orthodoxe Patriarch von Alexandria die Hände im Spiel hatte. »Lucas Mörder hat nach dem Evangelium gesucht, und als er es nicht fand, hat er Euer Schlafgemach durchwühlt«, fasste ich meine Vermutungen zusammen. »Er hat den griechischen Codex mitgenommen, weil er ihn für das Evangelium hielt.«
»Jener Dominikaner beherrscht das Griechische«, warf Eugenius ein. »Wie hätte er sonst wissen können, dass der antike Codex auf meinem Nachttisch ein Evangelium ist?«
»Da habt Ihr Recht!«, nickte ich. »Im Übrigen kann er auch Hebräisch lesen. Als ich ihn in meinem Arbeitszimmer überraschte, hielt er ein hebräisches Buch in der Hand, in dem er geblättert hatte.«
Er fuhr sich über die Stirn, und sein Fischerring funkelte im Schein des Kaminfeuers. »Wer, glaubt Ihr, hat ihn geschickt?«
»Derjenige, der mir in Alexandria nach dem Leben trachtete. Der meinen Vater ermorden ließ. Der auch vor weiteren Bluttaten nicht zurückschrecken wird, um seine Macht in Rom zu sichern ...«
... wie Mordanschläge auf Kardinal Colonna und Kardinal Cesarini, fügte ich im Stillen hinzu. Und wer wird sein nächstes Opfer sein? Der Papst?
Eugenius wandte sich ab und starrte eine Weile schweigend auf den Gekreuzigten über seinem Bett. »Ich habe ihm vertraut«, murmelte er zutiefst enttäuscht.
»Und er hat Euch verraten!«
Er nickte bleich, schlich hinüber zum Kamin, hob den umgestürzten Sessel auf und ließ sich nieder. Ich sah ihm an, wie erschüttert er war. »Setzt Euch zu mir!«
Ich nahm neben ihm Platz. »Was werdet Ihr jetzt tun?«
»Ich weiß es noch nicht«, gestand er leise, und ich ahnte, wie sehr er sich vor Giovanni Vitelleschi fürchtete. Er war abhängig von dem Patriarchen, der Rom mit Gewalt beherrschte und sich huldigen ließ, als wäre er der Papst. »Ich will mich mit Ludovico beraten, sobald er von dem Abendessen bei Cosimo zurückkehrt. Ich werde Euch verständigen, sobald ich eine Entscheidung getroffen habe.«
»Danke, Heiliger Vater.«
»Beim Leib Jesu Christi schwöre ich, dass Vitelleschi büßen wird für das, was er Euch und Eurem Vater angetan hat!« Ich nickte stumm.
Mit beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht. Er wirkte plötzlich um Jahre gealtert. »Was ist mit den Papyrusfragmenten?«
»Der Assassino hat sie nicht gefunden. Ich werde sie heute Nacht verstecken. Außer mir und dem Hüter des Evangeliums wird niemand erfahren, wo es verborgen ist.«
»Kennt jener Hüter die Logien?«
»Nein.«
»Aber Ihr vertraut ihm.«
»Wenn ich das Evangelium in seine Hände lege, vertraue ich ihm auch mein Leben an.«
»Das ist wahr!«, seufzte er. Er ahnte, wen ich zum Hüter des Evangeliums erkoren hatte, und billigte meine Entscheidung, denn er hatte den jungen Frater in den letzten Jahren sehr lieb gewonnen und vertraute ihm. »Habt Ihr inzwischen die letzten Sprüche Jesu rekonstruiert?«
Ich reichte ihm das Pergament mit den Skizzen der zusammengesetzten Fragmente, das Tayeb mir im Hof des Palazzo Cesarini in die Hand gedrückt hatte. Er entfaltete es, betrachtete einen Augenblick die Zeichnungen im Schein des Kaminfeuers und las dann den ersten Spruch:
»Jesus sprach: Das Königreich des Vaters ist ...‹ Der Spruch ist unvollständig«, murmelte er. »Jesus sprach: Selig ist der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefundene«
»Die Rückseite dieser Fragmente war nicht zu entziffern«, erklärte ich. »Die Tinte war verblasst und von den Papyrusfasern abgeblättert.«
Der Papst nickte und las das letzte Logion. »Jesus sprach: Ich habe Feuer in die Welt geworfen. Und siehe, ich bewahre es, bis es lodert.«‹ Ergriffen schwieg er und starrte ins Kaminfeuer. Schließlich besann er sich und gab mir das Pergament zurück. »Alessandra, würdet Ihr diese Zeichnungen für mich verwahren - so wie jene, die ich Euch mit den entliehenen Büchern zurücksenden ließ?«
»Ja, Heiliger Vater!« Ich faltete das Pergament zusammen und steckte es ein.
Der Papst erhob sich und reichte mir zum Abschied die Hand. »Ich stehe tief in Eurer Schuld.« Er zögerte einen Augenblick. »Seit ich am letzten Sonntag die Aufhebung von Lucas Exkommunikation verkündet habe, sind einige Mitglieder der Kurie, allen voran der Erzbischof von Florenz, an mich herangetreten, um Lucas sofortige Heiligsprechung zu fordern. Nach unserer Unterredung weiß ich, wie sehr Euch das verletzen muss, Alessandra. Und trotzdem bitte ich Euch, in
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