Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Domkuppel und auf der anderen Seite wieder hinunter in die Kathedrale - im Stützpfeiler gegenüber gab es einen zweiten Treppenaufgang. Und ich betete darum, dass der schwarze Mönch ihn nicht aus der Zeit kannte, als Santa Maria del Fiore noch eine Baustelle war mit Brunelleschis gigantischem Lastenaufzug an der Stelle, wo sich heute der Altar befand! Während der Bauphase hatten die Handwerker die Treppen im rechten Seitenschiff für den Aufstieg, die Treppen im linken Seitenschiff für den Abstieg genutzt - auf diese Weise wurde verhindert, dass sich die Maurer, Steinmetze und Zimmerleute in den schmalen Gängen begegneten.
Wenn es mir gelang, über die in der Domkuppel verborgenen Treppen die Tür am linken Seitenschiff zu erreichen, konnte ich unbemerkt durch das Hauptportal entkommen.
Ich entzündete die Kerze einer Laterne, die ich in einer Truhe fand, und machte mich an den langen, kräftezehrenden Aufstieg. Durch die Finsternis hastete ich über die ausgetretenen und glatt geschliffenen Steintreppen, über die die Dombauarbeiter zu den Arbeitsplattformen am Rand der unvollendeten Domkuppel emporgestiegen waren. Hunderte Stufen führten in dem Stützpfeiler, auf dem die Kuppel ruhte, hinauf bis zur inneren Galerie, dann zwischen den nach innen geneigten Kuppelschalen hindurch bis zur Spitze des gewaltigen Gewölbes.
Welch eine Plackerei hatten die Dombauarbeiter jeden Morgen auf sich genommen, um ihren Arbeitsplatz in luftiger Höhe zu erreichen! Immer wieder hatten sich Handwerker vom großen, von Zugochsen angetriebenen Lastenaufzug im offenen Oktogon der Kathedrale oder von dem kleineren Hebekran an der Kuppelspitze hinaufziehen lassen - bis ein Mann in den Tod stürzte und Brunelleschi es verboten hatte.
Obwohl ich mich mit Tayeb mit langen Gewaltmärschen auf die Reise nach Timbuktu vorbereitet und auch Giottos Campanile mehrmals bestiegen hatte, zitterten mir nach nur wenigen Treppen die Knie.
Nach einhundertfünfzig Stufen hatte ich das Ende des Stützpfeilers erreicht. Ich stellte die Laterne an der Treppe ab, trat hinaus auf die innere Galerie der nachtschwarzen Kuppel über mir und starrte hinunter in den Abgrund des Oktogons mit dem mondbeschienenen Altarraum tief unter mir.
Wo war der Mönch? Wartete er am Portal auf mich? Das war mein einziger Fluchtweg!
Ich huschte auf die andere Seite der Kuppelgalerie, zog mein Feuerzeug hervor und schleuderte den Feuerstein so weit ich konnte in die dunkle Apsis hinter dem Altar. Es dauerte lange, bis er mit weithin hallendem Geräusch auf die Fliesen prallte und zwei, drei Schritte weit über den Marmor schlitterte.
Nichts geschah!
Wo war der Assassino? Um Himmels willen, doch nicht ...? Wenn er mir im anderen Treppenaufgang entgegenstieg, hatte ich keine Chance zu entkommen, es sei denn ... Nein, das war nur der allerletzte Ausweg!
Da ich keine Ahnung hatte, wo der Assassino war, blieb mir nur eines: Ich musste mich sputen, denn anderenfalls würde er vor mir die Kuppelspitze erreichen und mir dort auflauern. Und dann gnade mir Gott! Denn nach den vierhundertdreiundsechzig Stufen würde ich so erschöpft sein, dass ich mich nicht mehr gegen seinen Angriff wehren konnte. Ich hatte nur eine Chance: Ich musste schneller sein als er!
Ich rannte über die Galerie zurück zum Aufgang und hastete keuchend durch die sich immer mehr verengenden Gänge zwischen der inneren und der äußeren Kuppelschale, zwischen denen sich die Treppen nach oben wanden. Mit der Laterne in der Hand hetzte ich durch ein verwirrendes Labyrinth von Stiegen, schmalen Durchgängen und niedrigen Türen zu aufgegebenen Materiallagern und Vorratsräumen.
Links von mir war die nach innen geneigte Innenkuppel, rechts über mir die Außenkuppel mit dem leuchtend roten Ziegeldach. An manchen Stellen, wo der glatte Putz abgesprungen war, sah ich die im Fischgrätmuster verlegten Ziegelsteine des Kuppelbaus.
Ich rannte die Treppen hinauf, hielt das Tempo jedoch nicht lange durch. Mein Herz raste, mir war schwindelig, und ich rang nach Luft. Erschöpft ließ ich mich auf die Stufen sinken und ruhte einen Moment aus.
Schließlich erreichte ich eines der offenen Rundfenster in der Kuppelschale. Ich kletterte hinauf, genoss den kalten Wind auf meinem erhitzten Gesicht, sog gierig die frische Luft ein und warf einen Blick hinunter auf das Wirrwarr der im Mondlicht schimmernden Dächer unter mir.
Dann stolperte ich mit zitternden, schmerzenden Beinen Treppe um Treppe empor, bis ich die
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