Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
erfahren.«
»Wie kam er in Lucas Haus?«
»Luca hat sich seiner erbarmt, als er sechzehn war. Er hat Serafino viele Jahre in seinem Palazzo wohnen lassen und ihm ein Studium an der Universität von Florenz finanziert.
Alessandra und Serafino standen sich sehr nah. Vor einigen Jahren hatten sie gemeinsam die Alpen überquert und in der Klosterbibliothek von Sankt Gallen mehrere Truhen voller kostbarer antiker Handschriften entdeckt.
Ich weiß nicht genau, was während der Rückreise geschehen ist - keiner von beiden hat darüber je ein Wort verloren. Luca hat es mir dann anvertraut. Nur so viel: Auf dem San-Gottardo-Pass gerieten sie in einen heftigen Schneesturm und kamen mit ihrer Maultierkarawane vom Weg ab. Serafino hat ihr das Leben gerettet. Er opferte die Bücher, um Alessandra zu retten. Es müssen wertvolle Schätze gewesen sein, die für immer im Abgrund verschwanden, als mehrere Maultiere mit ihren Lasten in die Tiefe stürzten.
Als Serafino beschloss, Dominikaner zu werden und ins Kloster einzutreten, hat sie das schwer getroffen. Kurz vor Weihnachten ist er zum Priester geweiht worden. Wie ihren Vater hat sie ihn an den ›Tempel der Selbstopferung‹ verloren. So nennt sie die Kirche.«
Ich nickte stumm.
»Ich weiß nicht, was Ihr für sie empfindet, Euer Seligkeit. Aber da Ihr sie nach San Marco begleitet habt, um ihr in dieser schweren Stunde beizustehen, ahne ich, dass sich Eure Gefühle für sie nicht auf brüderliche Freundschaft und Wertschätzung für ihren ›heiligen Vater‹ beschränken.
Ich bin Alessandras Beichtvater. Sie vertraut mir die Geheimnisse ihres Herzens an - so wie Ihr es in den letzten Wochen getan habt, als wir über Euren Wunsch sprachen, die Ehrentitel niederzulegen, das Priesteramt aufzugeben und Euch ins Kloster in Byzanz zurückzuziehen, um dort in aller Seelenruhe zu sterben. Bitte versteht mich nicht falsch, Euer Seligkeit! Ich bin sehr glücklich, dass Ihr nach der niederschmetternden Diagnose Eures jüdischen Freundes die tiefe Traurigkeit und Verzweiflung überwunden und ins Leben zurückgefunden habt. Verzeiht mir, wenn ich Euch nun als Euer Seelsorger ins Gewissen rede!«
Fra Antonino sah mir fest in die Augen.
»Was immer Ihr und Alessandra füreinander empfindet: Bitte tut ihr nicht weh! Wenn sie nach Luca und Serafino auch noch Euch verlieren müsste, würde es ihr das Herz brechen.«
Es war Mitternacht, als ich mich sehr herzlich von Isidor von Kiew verabschiedete, ihm für den schönen Abend dankte und mit Tito in den Palazzo Albizzi zurückkehrte. Während wir die Via dei Servi entlanggingen, sprachen wir über die Totenmesse für Alexios, die ich am Vortag in der Kapelle des Palazzo d'Ascoli gehalten hatte. Tito war tief gerührt. Noch nie hatte er eine orthodoxe Messe erlebt.
Die Fassade des Palazzo Pucci war hell erleuchtet. Hundert Schritte vor uns torkelten zwei Betrunkene Arm in Arm die Straße hinunter in Richtung Dom. Während einer schwankend stehen blieb, um sich an einer Hauswand zu erleichtern, lehnte der andere kichernd neben ihm.
Dann geschah es!
Aus den Schatten einer dunklen Seitengasse stürzte ein Bewaffneter, riss den Dolch hoch, warf sich auf mich und stach zu.
Ich taumelte unter dem Aufprall seiner Schulter, glitt auf den vereisten Pflastersteinen aus und stürzte zu Boden. Und so traf er mich nicht ins Herz, sondern riss mit seiner Klinge eine Wunde in meine Seite.
Hart schlug ich mit dem Kopf auf das Pflaster und blieb benommen liegen. Ein furchtbarer Schmerz überschwemmte meinen Schädel. Grelle Lichtblitze zuckten vor meinen Augen.
Eine schwere Schläfrigkeit bemächtigte sich meines Körpers, eine Sehnsucht nach Ruhe und Schlaf, der ich nicht nachgeben durfte, wenn ich nicht sterben wollte. Nicht jetzt!
Dann tiefste Finsternis. Es wurde schwarz vor Augen. Ich konnte nichts mehr erkennen. War ich erblindet?
Woher kam der überwältigend süße Duft nach Weihrauch? Und dieses brausende Geräusch, das erwartungsvolle Raunen einer großen Menschenmenge?
Wie ohnmächtig lag ich auf dem Boden, unfähig mich zu erheben.
Dann sah ich wieder die Hufe von Kaiser Manuels steigendem Hengst über mir. Sein erschrockenes Gesicht. Die zu Boden stürzende Krone. Die blitzenden Schwerter der kaiserlichen Leibwächter. Die Kuppeln der Hagia Sophia. Die entsetzte Menge am Straßenrand, die die Karfreitagsprozession des Basileus bestaunen wollte.
Mein Herz raste.
Wo war Natanael?
Ein Bewaffneter hatte ihn gepackt und von mir
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