Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
meine Wange und fanden schließlich meinen Mund.
Wir küssten uns mit aller Leidenschaft.
»Und wo tut es nun am meisten weh?«
Ich wies auf mein Herz.
Sie schwieg betroffen. Sie wusste, was ich meinte: mein Gelübde sexueller Enthaltsamkeit.
»Ich liebe dich«, bekannte ich im Rausch der Glückseligkeit. Ich war zutiefst erregt und empfand ein unbändiges Verlangen nach körperlicher Liebe - eine der äußerst angenehmen Nebenwirkungen von Natanaels Zaubertrank. »Ich will dich!«
Sie ließ sich neben mich in die Kissen fallen und musterte mich mit funkelnden Augen. Ganz nah rückte sie an mich heran, legte einen Arm um meine Schulter, hob den Schenkel über meine Hüfte. »Ich will dich auch, mein Liebster!«
Ihr Kuss schmeckte nach Tränen. Warum weinte sie?
Als sie sich mir öffnete, glitt ich behutsam in sie hinein.
»Es wird wehtun!«, warnte ich, aber sie schüttelte den Kopf.
»Nein, das wird es nicht.«
Ich fragte sie nicht, wer jener erste Mann in ihrem Leben gewesen war. Ich ahnte es doch schon seit langem ...
Tief atmete ich ihren Duft ein, schloss die Augen und genoss ihre weichen, lustvollen Bewegungen. Ich legte meinen Arm um sie, umfasste ihren Schenkel, den sie über meine Hüfte gelegt hatte, und zog sie so nah zu mir heran, bis wir den Herzschlag des anderen spüren konnten.
Zart küsste ich ihr die Tränen aus dem Gesicht, hielt sie fest umschlungen, unsere Körper untrennbar ineinander verwoben, unsere Seelen eins. Die Lust in mir stieg immer höher, in mein Herz, das lichterloh brannte, und in meinen Verstand, der in Flammen der Ekstase aufging.
Welch ein überwältigend schönes Gefühl von Geborgenheit!
Ermattet ließ ich mich in die Kissen sinken, lag einige Herzschläge lang still, noch bebend vor Begierde, und horchte in mich hinein: Empfand ich Reue, weil ich mein Gelübde gebrochen hatte? Nein! Ich war so glückselig wie noch nie in meinem Leben. Auf wie viel Liebe, wie viel Lust und wie viel Glück hatte ich all die Jahre verzichtet! Die Liebe war ein Segen Gottes. Natanael hatte Recht: Sie war das höchste und schönste Gebot.
Still lauschte ich auf unsere Atemzüge, als ich ihr leises Schluchzen vernahm. Sie hatte ihre Stirn ins Kopfkissen gepresst und weinte. Ich strich ihr das lange Haar aus dem Gesicht und umarmte sie zärtlich. »Was ist mit dir? Habe ich dir wehgetan? Es tut mir leid ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte sie mit tränenerstickter Stimme. »Du hast mir nicht wehgetan. Du nicht.«
»Wer dann?«, flüsterte ich.
Sie zögerte. »Mein Vater war einer von ihnen«, murmelte sie mit tonloser Stimme.
»Und wer waren die anderen?«
Sie atmete tief durch und schwieg. Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Als du ein Kind warst, haben dir die Mönche im Kerker der Inquisition großes Leid zugefügt, nicht wahr? Rührt daher dein Zorn und dein Hass auf die Priester? Empfindest du deshalb die Kirche als einen Kerker für Körper und Geist?«
Sie nickte. »Es waren die Priester - die Kardinäle der florentinischen Kurie und die Dominikaner von Santa Maria sopra Minerva in Rom, die mich ...« Sie verstummte.
»Willst du mir erzählen, was geschehen ist?«
Sie biss sich auf die Lippen. »Als ich drei Jahre alt war, wurden meine Mutter und ich auf Befehl von Kardinal Orsini aus dem Palazzo Colonna entführt und in den Kerker der Inquisition geschleppt.«
»Aber wieso?«
»Giordano Orsini wollte den Einfluss meines Vaters, des engsten Vertrauten von Papst Martin, mit einer machtpolitischen Intrige brechen. Er streute das Gerücht aus, Adriana Colonna habe sich Satan hingegeben, und ich, das Kind ohne Vater, sei ›Lucifers Tochter‹. Diesen Namen wählte er mit Bedacht: Er klang so ähnlich wie ›Lucas Tochter‹. Und er setzte Luca mit dem gefallenen Engel Lucifer gleich, den Gott wegen seines Hochmuts aus dem Himmel ins ewige Feuer der Hölle verbannte. Kardinal Orsini hoffte, der sittenstrenge Papst Martin würde Luca, den gefallenen Heiligen, aus der Kirche verstoßen.«
Sie fuhr sich über das Gesicht.
»Eines Tages drang eine Truppe bewaffneter Bravi mit Gewalt in den Palazzo Colonna ein. Sie schleppten meine Mutter und mich durch die Straßen von Rom in den Kerker von Santa Maria sopra Minerva, dem Dominikanerkloster, wo mein Vater als päpstlicher Legat und Inquisitor von Rom mit seinem Gefolge residierte. Luca hatte damals eine Machtposition wie heute Giovanni Vitelleschi: Er regierte Rom für die Kirche und sorgte für Ruhe und
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