Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
stöhnte der Papst. »Und wie geht es ihm?«
»Er hat heute Nacht einen schweren epileptischen Anfall erlitten und liegt seit Stunden im Koma. Er atmet, und sein Herz schlägt, aber ich weiß nicht, ob er jemals wieder aufwachen wird. Ich fürchte um sein Leben.« Ich senkte den Blick, um mir meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.
»Du lieber Himmel!«, flüsterte Scarampo betroffen und kam einige Schritte näher. »Was sagt sein Leibarzt?«
»Rabbi Natanael ist tot. Deshalb bin ich hier, Euer Exzellenz. Ich brauche einen Arzt, der mit dem Status epilepticus vertraut ist.«
»Das bin ich«, versicherte mir der Erzbischof, der in Padua als Medicus gearbeitet hatte, bevor er als Günstling des Papstes Karriere machte. »Ich werde Euch begleiten und ihn untersuchen.«
»Ich danke Euch«, erwiderte ich erleichtert. »Rabbi Natanael hatte Niketas ein Medikament gegeben, das die Schmerzen nach den epileptischen Anfällen lindern konnte. Es ist nun aufgebraucht. Ich benötige dringend Euren ärztlichen Rat.«
»Was ist mit Niketas' Sekretär?«, fragte der Papst. »Ihr sagtet, er sei tot?«
»Er ist heute Nacht ermordet worden, vermutlich zur selben Zeit, als Niketas angegriffen wurde.« Ich berichtete ihm, was Cosimo mir bei seinem Besuch in den frühen Morgenstunden erzählt hatte. »Nach einem Abendessen mit Rabbi Raffaele, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Florenz, hat er die Synagoge besucht, um sein Nachtgebet zu halten - das vermutet der Rabbiner. Der Assassino hat Natanael aufgelauert, bevor er die Synagoge betrat. Seine Taschen sind durchwühlt worden, aber ...« Ich verstummte und warf Scarampo einen fragenden Blick zu.
Eugenius nickte. »Ich habe Ludovico ins Vertrauen gezogen. Er weiß von dem Evangelium und dem Mönch, der in Euer Arbeitszimmer und mein Schlafgemach eingedrungen ist, um es zu stehlen. Er weiß auch, dass Ihr in jener Nacht das Evangelium nach San Marco gebracht und Serafino gebeten habt, es zu beschützen. Fra Antonino hat mir am letzten Sonntag von seinem Tod berichtet. Ich war zutiefst erschüttert.«
Er blickte zum Erzbischof hinüber, der bekümmert den Blick senkte. Serafino hatte ihm offenbar mehr bedeutet als seine unzähligen anderen Amouren.
»Wie Ludovico habe ich um Serafino getrauert, denn ich hatte ihn in den letzten Jahren sehr lieb gewonnen. Immer wieder hat er mir Bücher aus der Bibliothek Eures Vaters gebracht. Ein prächtiger junger Mann! Hochgebildet, tief gläubig, mutig und loyal. Ich hatte große Pläne mit ihm. Nach der Kirchenunion und meiner Rückkehr nach Rom wollte ich ihn zum Prior von Santa Maria sopra Minerva ernennen, wo vor ihm schon Fra Antonino ...«
Der Papst stockte, als ich ihn entgeistert anstarrte: Er hatte Serafino nach Rom versetzen wollen?
Dann fuhr er fort: »Ich nehme an, Serafino wurde ermordet, als er jenen Mönch in der Klosterbibliothek bei der Suche nach einem Codex überraschte. Der Assassino weiß ja nicht, dass das Evangelium nur aus einer Handvoll Fragmenten besteht. Ihr könnt vor Ludovico offen sprechen, Alessandra! Ich vertraue ihm. Was ist heute Nacht geschehen?«
»Der Mönch vermutete, das Evangelium befände sich seit dem Tod von Serafino nicht mehr in der Bibliothek von San Marco«, erklärte ich. »Er dachte, dass Natanael es gestern Nacht an einem anderen Ort verstecken sollte. In der Genisa der Synagoge.«
»Ein nahe liegender Gedanke. Ihr habt die Fragmente in einer solchen Kammer gefunden. Niketas und sein jüdischer Freund sind jeden Tag im Palazzo d'Ascoli und genießen offenbar Euer Vertrauen ...«
Durch seinen forschenden Blick - ›Was empfindest du für Niketas? Und was empfindet er für dich?‹ - ließ ich mich nicht beirren.
»Die Genisa der Synagoge am Mercato Vecchio ist ein Raum, der bis zur Decke mit Torarollen, Truhen und Körben voller Bücher, Pergamentcodices, Schriftrollen und jüdischen Kultgegenständen vollgestopft ist. Eine wahre Schatzkammer!«, erklärte ich.
»Wart Ihr schon einmal dort?«
»Ja, Heiliger Vater. Rabbi Raffaele hat mir die Genisa gezeigt. Das Evangelium wäre dort inmitten italienischer und hebräischer Schriften sicher verborgen. Der Assassino hat Natanael ermordet und in aller Eile seine Taschen durchsucht, aber nichts gefunden ...«
«... weil sich das Evangelium noch immer in San Marco befindet«, vollendete der Papst meinen Satz.
Ich nickte.
Würde Vitelleschis Assassino auch das Grab meines Vaters aufbrechen? Würde er die Papyrusfetzen in Senecas
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