Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
ihn: Welch eine Ehre für die Medici!
An diesem Abend ließ es sich Cosimo nicht nehmen, den Patriarchen und die ranghöchsten Würdenträger der orthodoxen Kirche, unter ihnen Markos von Ephesos, Isidor von Kiew, Basilios von Nikaia und Niketas von Athen, zu einem Bankett in seinen Palazzo in der Via de' Bardi einzuladen.
Niketas stellte mich Seiner Allheiligkeit vor, der am Ende des Saals auf einem Sessel thronte. Joseph wirkte gebrechlich und erschöpft von der langen Reise. Sein asketisch schmales Gesicht hinter dem langen weißen Bart war bleich, die knochigen Finger, die er mir zum Kuss entgegenstreckte, zitterten.
»Ihr seid Lucas Tochter?« Er ergriff meine Hand und hielt sie fest. »Der Tod Eures Vaters hat mich sehr erschüttert. Ich habe für ihn gebetet.«
»Ich danke Eurer Allheiligkeit.«
»Als er mich vor einigen Tagen in Ferrara besuchte, war er voller Tatendrang. Er hatte eine großartige Vision und sprühte Funken, als wolle er die Welt in Brand setzen. Und nun ist er tot.«
Mir stockte der Atem. »Er hat mit Euch gesprochen?«
Joseph nickte. »Ja, wir haben über die Beendigung des Schismas diskutiert. Und ein wenig in alten Erinnerungen geschwelgt. Wir kennen uns schon sehr lange.«
»Ihr habt meinen Vater in Byzanz getroffen, als er dort studierte.«
»Damals war ich noch Metropolit von Ephesos. Das war ...« Er überlegte kurz. «... vor achtunddreißig Jahren. Im Sommer 1401. Einige Wochen später ist Luca nach Rom zurückgekehrt, um in den Dominikanerorden einzutreten und bald darauf Papst Gregors Sekretär zu werden. In all den Jahren habe ich seine Karriere verfolgt: das Konzil von Konstanz, seine Rückkehr nach Rom als päpstlicher Legat und Vertrauter von Papst Martin, die Flucht nach Florenz. Ich war betroffen, als ich erfuhr, dass er das Priesteramt aufgegeben hatte und eine kleine Tochter hat - Euch, mein Kind.« Er drückte tröstend meine Hand.
»Danke, Allheiligkeit.«
»Sehr gern würde ich mir Lucas großartige Bibliothek ansehen.«
»Es wäre mir eine große Ehre, Euch im Palazzo d'Ascoli begrüßen zu dürfen.«
»Wenn es Euch recht ist, werde ich am Aschermittwoch kommen«, versprach er lächelnd. Nachdem ich mich vom Patriarchen verabschiedet hatte, geleitete mich Niketas durch den Saal zu meinem Platz an der festlich gedeckten Tafel. »Nach dem Bankett werde ich mit Basilios in den Palazzo Albizzi zurückkehren«, wisperte er. »Können wir uns nachher noch sehen?«
Ich sehnte mich jetzt schon nach seinen sanften Zärtlichkeiten, die ich hingebungsvoll genossen hatte. Und nach der ungestümen Leidenschaft, mit der er mich liebte.
Verstohlen ergriff ich seine Hand unter dem weiten Ärmel seiner Soutane und schob meine Finger zwischen seine.
»Komm um Mitternacht in Cosimos Bibliothek«, flüsterte ich. »Dort sind wir ungestört.«
Während des Abendessens saß ich zwischen Niketas und Basilios. Eine Gruppe Musiker spielte Stücke von Guillaume Dufay, der als Komponist und Sänger in Papst Eugenius' Diensten stand. Vor drei Jahren hatte der Flame eines seiner berühmtesten Werke komponiert, eine Motette, die anlässlich der Weihe von Brunelleschis Kuppel aufgeführt worden war.
Die Wände des Saals waren mit Wandbehängen geschmückt, die die Wappen der Medici und des Patriarchen Joseph trugen, einem Sohn des bulgarischen Zaren Ivan Šiŝman III. Seidene Bänder und Lorbeerzweige umwanden die Säulen aus marmoriertem Pappmache, die mich an den Parthenon auf der Akropolis erinnerten.
Zwischen den unzähligen Gängen unterhielt ich mich mit Basilios. Kurz vor Mitternacht erhob ich mich von der Tafel, um Niketas, der mir unbemerkt folgen wollte, in der Bibliothek zu treffen. Im Augenblick unterhielt er sich angeregt mit Piero. Ich suchte seinen Blick, und er nickte stumm.
Ich schlenderte durch den Saal und sprach eine Weile mit Isidor von Kiew über die bevorstehende Ankunft des Kaisers in vier Tagen, als sich plötzlich ein Arm um meine Taille legte.
Piero? Schon wollte ich mich zu ihm umwenden, um ihn zurechtzuweisen, als Cosimo mich an sich zog.
»Vergebt mir, Euer Seligkeit!«, entschuldigte er sich bei Isidor. »Darf ich Euch Alessandra einen Augenblick entführen?«
Dann ergriff er meine Hand und zog mich mit sich fort. Schließlich blieb er stehen und wandte sich zu mir um. Sein Gesicht war sehr ernst. »Carissima, ich würde dir gern die Bücher zeigen, die Patriarch Joseph mir als Gastgeschenk überreicht hat. Eine Schatztruhe voller
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