Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
ich damit meinte.
Noch am selben Abend erwachte Niketas, und ich beherzigte Scarampos Rat: Er brauchte Ruhe ... und sehr viel Liebe.
In den Tagen nach Natanaels Beisetzung verbrachten Niketas und ich viel Zeit miteinander. Stundenlang lag ich neben ihm auf dem Bett oder eng in seine Arme geschmiegt in den Kissen und sprach mit ihm über seinen Bruder. Er war sehr traurig. Und einsam. Ich tröstete ihn und liebte ihn zärtlich.
Mit ganzem Herzen nahm Niketas die Liebe an, die ich ihm schenkte, und gab sie mir zurück - ohne Reue und ohne ein Wort über sein gebrochenes Gelübde zu verlieren.
Unsere Liebe war die Erfahrung eines überwältigenden Gefühls, nicht mehr allein zu sein. Wir erlebten eine Zeit vollkommener Harmonie, stiller Freude und Glückseligkeit, unermesslich sinnlich, unvergesslich schön. Wir genossen unser Glück und hüteten es wie das Licht einer Kerze. Denn uns war bewusst, wie leicht die Flamme unserer Liebe inmitten dieses Sturms von Hass und Gewalt verlöschen konnte.
Caedmon, der uns beobachtete, war noch schweigsamer als zuvor. Mein Sekretär zog sich in seine Kammer zurück und las sehr viel, vor allem in Ibn Shapruts Prüfstein. Er ging stundenlang allein spazieren und besuchte das Kloster San Miniato, wo er mit den Olivetanern den Gottesdienst feierte und sogar zwei Mal die Nacht verbrachte, um sich zu besinnen.
Offen gestanden war ich ein wenig verwundert darüber, dass er sich nach Natanaels Tod nicht bei Niketas als Sekretär bewarb, sondern bei mir bleiben wollte. Denn Caedmon verehrte Niketas, sorgte sich um ihn, während er das Bett hütete, und las ihm jeden Wunsch von den Augen ab.
Nachdem Caedmon dem Herzog und dem Kardinal gedient hatte, wäre eine Stelle beim Metropoliten von Athen und Bruder des Kaisers von Byzanz seinem Stolz und Ehrgeiz mehr als angemessen und seiner weiteren Karriere gewiss sehr förderlich gewesen. Was versprach er sich davon, wenn er bei mir blieb? Und warum war er so nachdenklich und in sich gekehrt?
Rätselhafter Caedmon! Welches furchtbare Geheimnis trägst du in deinem ruhelosen Herzen?
Einige Tage später zog der Patriarch von Konstantinopolis mit seinem Gefolge in einem Triumphzug in Florenz ein.
Eine jubelnde Menschenmenge säumte die Straßen und bewunderte die Brokatgewänder und die mit Edelsteinen geschmückten Kronen des Patriarchen und der Metropoliten, die auf prächtig aufgezäumten Pferden hinter seiner Sänfte ritten. Ein endloser Zug von orthodoxen Würdenträgern mit ihrem Gefolge wand sich die Via Larga hinunter zur Piazza del Duomo. Die Kardinäle Albergati und Cesarini, dreißig Bischöfe aus aller Welt und fünfhundert Mitglieder des päpstlichen Hofstaates gaben dem Patriarchen das Ehrengeleit. Als Kanzler hatte Leonardo Bruni Seine Allheiligkeit bereits an der Porta San Gallo mit einer Festrede begrüßt.
Vor den Domstufen wurde die Sänfte des Patriarchen abgestellt. Diener eilten herbei, um ihm die Hermelindecke von den Knien zu ziehen. Niketas half dem achtzigjährigen Joseph auf, berührte seine Hand mit den Lippen und mit der Stirn und geleitete ihn zum Papst. Eugenius begrüßte den Patriarchen und die Metropoliten in einer prunkvollen Zeremonie mit einem Friedenskuss unter der schwebenden Taube mit dem Olivenzweig im Schnabel.
Welch ein Sinneswandel seit dem Beginn des Konzils vor fast einem Jahr in Ferrara, als sich der Patriarch wutentbrannt geweigert hatte, dem Papst dem römischen Zeremoniell gemäß die Füße zu küssen ...
Die weihrauchschwere Luft war erfüllt von den Jubelrufen der Florentiner. Päpste, Kaiser, Könige und Kardinäle hatten sie in ihrer Stadt empfangen. Aber ein Konzil zur Vereinigung der Kirchen? Das war einzigartig!
Welch ein Ansehen würde diese Stadt in aller Welt genießen, wenn die Union geschlossen wurde! Florenz, die Mitte der Welt zwischen Orient und Okzident, zwischen Byzanz und Rom, dem griechischen Altertum und dem neuen Zeitalter, in dem antike Ideen wiedergeboren wurden. Florenz, die Erbin Athens als Stadt des Geistes und der Kultur, die Erbin Roms als mächtigste Republik Italiens! Florenz, die Königin der Städte, bekrönt von Brunelleschis grandioser Domkuppel!
Welch ein Triumph für Cosimo!, dachte ich im Stillen. Sechs Jahre nach seinem Machtkampf mit Rinaldo degli Albizzi und dem bangen Warten auf sein Todesurteil im Turm der Signoria, fünf Jahre nach seiner Rückkehr aus der Verbannung nach Venedig hatte er das Konzil nach Florenz geholt. Ich freute mich für
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