Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Büchlein finden? Zutiefst beunruhigt beschloss ich, das Evangelium in einer der nächsten Nächte aus der Gruft zu holen.
»Der Tod von Natanael beweist, dass Vitelleschi durch Philotheos von Alexandria von der Existenz des Evangeliums erfahren hat. Wie hätte der Mönch sonst vermuten können, dass es in einer Genisa versteckt werden sollte? Der Mord an Natanael ist der letzte Beweis, dass der Mönch, der meinen Vater ermordet hat, der mich angegriffen hat, der Serafino, Alexios und Natanael ermordet hat, von Vitelleschi gesandt worden ist.«
Der Papst lehnte sich auf seinem Sessel zurück, schloss die Augen und barg das Gesicht in den Händen. Ich hörte sein Schnaufen, als er tief durchatmete. Ludovico Scarampo wandte sich mit undurchdringlicher Miene ab, um aus dem Fenster in den Chiostro Grande hinabzublicken.
»Heiliger Vater, Ihr habt geschworen, dass Vitelleschi büßen wird für das, was er meinem Vater und mir angetan hat. Seitdem sind drei Menschen gestorben!«, erinnerte ich ihn. »Wann werdet Ihr Euer Versprechen halten?«
Seufzend fuhr sich Eugenius mit den Händen über das Gesicht und sah mir schließlich in die Augen. »Noch nicht.«
»Noch nicht?«, wiederholte ich entsetzt. »Aber ...«
»Ich brauche Giovanni Vitelleschi«, bekannte der Papst mit tonloser Stimme. Wie schwer ihm dieses Geständnis fiel!
»In Rom droht ein Aufstand«, fügte Scarampo mit düsterer Miene an. »Euer Cousin, Kardinal Colonna, wurde vor einigen Tagen in Rom gesehen, ganz in der Nähe des Castel Sant'Angelo. Er soll Bewaffnete bei sich haben.«
»Großer Gott!«, hauchte ich erschrocken. »Ihr seid mit Euren Männern auf dem Weg nach Rom?«
Der Erzbischof nickte.
»Werdet Ihr ihn töten?«, fragte ich leise.
Er senkte den Blick und schwieg.
O Gott!, dachte ich bestürzt. Wird das Morden denn niemals enden?
»Ich kann auf Vitelleschi nicht verzichten, solange die Colonna gegen mich kämpfen!«, verkündete der Papst mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Vorerst bleibt er in Amt und Würden und regiert für mich Rom. Bevor das Unionsdekret nicht vom Kaiser und mir unterzeichnet ist, kann ich Vitelleschi wegen seines Verrats nicht verurteilen. Ludovico wird in einigen Monaten sein Nachfolger - als Kardinal, als Feldherr der Kirche wie auch als Regent von Rom.«
So lange sollte der Mord an meinem Vater ungesühnt bleiben?
»Heiliger Vater, auch ich habe einen Schwur geleistet«, presste ich hervor. Der Zorn schnürte mir die Kehle zu, und ich rang nach Luft. »An Lucas Katafalk habe ich geschworen, seinen Mörder zu finden und zu töten. Ich werde mein Gelübde halten. Ich werde Giovanni Vitelleschi vernichten.«
Auf Wunsch des Papstes begleitete mich Scarampo wenig später in den Palazzo d'Ascoli. Nachdem er Niketas, der immer noch fest schlief, untersucht und an dem leeren Silberfläschchen mit Natanaels Wundermittel gerochen hatte, beruhigte er mich, dass keine Lebensgefahr mehr bestünde: Das hohe Fieber sei gesunken, das Herz schlage kräftig, die Atmung sei regelmäßig. Niketas schlafe tief im Opiumrausch. Auf keinen Fall sollte ich versuchen, ihn zu wecken.
Während er Niketas' Wunde nähte und verband, schickte ich Caedmon in den Palazzo Albizzi, um Natanaels Truhe mit den Medikamenten zu holen. Scarampo ließ sich von mir die Beschriftung der Phiolen vorlesen und übersetzen. Aus verschiedenen Tinkturen und Opium mischte er ein Elixier, füllte es ins Silberfläschchen und gab es mir:
»Das ist gegen die Kopfschmerzen. Wenn er aufwacht, soll er einige Tage im Bett bleiben. Haltet jede Aufregung von ihm fern. Er braucht Ruhe, sehr viel Ruhe ... und Liebe«, fügte er mit einem feinen Lächeln an.
Ich bat den Erzbischof in mein Arbeitszimmer, wo wir ein langes Gespräch unter vier Augen führten.
Sein Wille zur Macht schreckte mich nicht. Im Gegenteil: Sein Bekenntnis war offen und aufrichtig, sein Auftreten war entschlossen, und ich vertraute ihm. Hatte ich denn eine andere Wahl, als Satan durch Beelzebub auszutreiben?
»Wie ernst ist es Euch mit Vitelleschis Sturz?«, fragte der Erzbischof am Ende unseres Gespräches.
»Todernst!«
Er lächelte über mein Wortspiel. »Wollt Ihr nicht nach meiner Rückkehr aus Rom zum Abendessen zu mir kommen? Wir werden viel zu besprechen haben.«
»Lasst es mich wissen, sobald Ihr zurück seid. Ich werde gern kommen!« Ich reichte ihm die Hand zum Abschied. »Und denkt daran, Euer Exzellenz: Alle Wege führen nach Rom!«
Er wusste genau, was
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