Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Kostbarkeiten!«
Ich zögerte, vermied es jedoch, zu Niketas hinüberzublicken.
»Komm«, flüsterte er und nahm meine Hand. Ich folgte ihm die Treppe hinauf in seine Wohnung. Neben seinem Studierzimmer lag, durch eine Tür verbunden, die Bibliothek.
Cosimo öffnete mir, und ich trat in sein Studiolo, einen Raum von schlichter Eleganz. Ein großer Schreibtisch, ein Bücherregal mit lateinischen und griechischen Werken, ein Lesepult mit einem Stapel Folianten, zwei gemütliche Ledersessel vor dem Kamin.
Ich blieb stehen und atmete leise aus. Hier hatte ich ihn nach jener Nacht verlassen, um am nächsten Morgen nach Alexandria zu reisen. Das war vor fast drei Monaten gewesen.
»Carissima, was ist mit dir?« Cosimo legte den Arm um meine Schultern und streichelte meinen Nacken. »Setz dich an meinen Schreibtisch! Ich werde dir die Bücher bringen.«
Während ich mich am Tisch niederließ, ging er zum Lesepult, um vier Folianten zu holen und sie vor mir auszubreiten.
Ich nahm das erste Buch, strich mit den Fingern über den ledernen Buchdeckel und schlug es auf. »Eine Abhandlung von Basilios von Caesarea. Ein überaus kostbares Buch!« Ich blätterte die dicken, vergilbten Pergamentseiten um. Der heilige Basilios, Asket, Bischof und einer der großen Kirchenväter des Ostens, war der Gründer des Ordens, dem Niketas angehörte.
Cosimo rückte mit seinem Stuhl näher heran. »Wie alt schätzt du das Buch?«
»Verfasst hat Basilios dieses Traktat zwischen 370 und 380, als er Metropolit von Caesarea war. Diese Abschrift stammt vermutlich aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert.« Behutsam schloss ich das Buch und legte es zurück. Dann nahm ich das nächste. »Gregor von Nyssa«, las ich den Namen des Verfassers auf dem Titelblatt. »Gregor war der Bruder von Basilios, ebenfalls ein Heiliger, Bischof und Kirchenlehrer. Ich besitze eine Abschrift in meiner Bibliothek.« Ich schob den Folianten über den Tisch und blickte auf das dritte Buch, rührte es aber nicht an. »Ich vermute, dieses Werk hat Gregor von Nazianz verfasst.«
»Woher weißt du das?«
»Joseph hat dir nicht irgendwelche Bücher geschenkt. Basilios von Caesarea, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz sind die drei großen Kirchenlehrer der Orthodoxie. Mit diesem Geschenk will er dich für seine Sache begeistern, dich beim Streitpunkt des Filioque auf seine Seite ziehen - der Frage, ob der Heilige Geist nun vom Vater oder auch vom Sohn ausgeht.«
»Aber ich nehme an den Konzilssitzungen gar nicht teil!«
»Mit diesen Geschenken will der Patriarch dein Wohlwollen erringen! Du finanzierst das Konzil und damit die Kirchenunion. Du bist der reichste Mann Italiens und der Bankier des Papstes. Du bist der Bannerträger von Florenz, wenngleich deine Amtszeit bald enden wird. Du hast einen immensen Einfluss auf den Papst und die Kardinäle.«
»Wirst du an den Konzilssitzungen teilnehmen?«
»Glaubst du, dass ich mir das bedeutendste Konzil der Kirchengeschichte entgehen lasse? Dass ich nicht dabei sein will, wenn in der Kathedrale von Florenz das Schisma aufgehoben und die christliche Weltordnung verändert wird?«
Er sah mir in die Augen und nickte stumm. Dann ergriff er das dritte Buch und las das Titelblatt. »Du hattest Recht: Gregor von Nazianz.«
Ich schlug den vierten Folianten auf. »Sieh dir das an, Cosimo! Ein griechisches Neues Testament! Schau, diese herrlichen Buchmalereien in Purpur, Blau und Blattgold! Das Buch ist ein Vermögen wert!« Gebannt blätterte ich durch die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Briefe von Paulus, Jakobus, Petrus und Judas ... dann hielt ich inne und las einen Text, den die lateinischen Bibeln nicht enthielten. Der jüdische Historiker Flavius Josephus hatte ihn verfasst!
Wegen des sogenannten Testimonium Flavianum, seinem berühmten Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, waren Josephus' Schriften einst in den orthodoxen Kanon des Neuen Testaments aufgenommen worden. Diese Textstellen, die von den Gelehrten immer wieder für eine fromme Fälschung aus dem dritten Jahrhundert gehalten wurden, waren die erste nichtchristliche Quelle, die Jesu historische Existenz bestätigte.
»Sieh dir diese herrliche Miniatur an, Cosimo: der brennende Tempel von Jerusalem! Siehst du diesen kleinen Römer in schimmernder Rüstung mit Purpurmantel auf dem Ölberg? Das ist Titus, der Eroberer Jerusalems. Und der Mann neben ihm, der mit erhobenen Händen zum Tempel hinüberschaut, ist gewiss Flavius Josephus. Schau dir
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