Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
nach Rom gegeben hatte.
»Bruder Caedmon!«, rief der Papst. »Ich freue mich, Euch kennenzulernen. Alessandra hat mir schon viel von Euch erzählt.«
Erleichtert atmete ich auf. Er hatte Wort gehalten.
Caedmons Blick irrte vom Papst zu mir. Er wirkte verunsichert: Was hatte ich Seiner Heiligkeit erzählt? Dann rutschte er auf Knien vorwärts, um den päpstlichen Pantoffel zu küssen.
»Erhebt Euch, Frater!«, befahl Eugenius in gebieterischem Tonfall, und Caedmon gehorchte verlegen. »Ihr habt in Oxford Kirchenrecht studiert? Und an der Sorbonne in Paris Theologie und Philosophie? Mit einem Abschluss summa cum laude.«
»Ja, Heiliger ...«
»Und Ihr sprecht fließend sechs Sprachen? Englisch, Französisch, Italienisch, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch.«
»Das ist ...«
»Alessandra erzählte mir, dass der Erzbischof von Canterbury und Primas von England Euer Mentor ist. Dass Ihr für den Lordprotector von England und den Patriarchen von Alexandria gearbeitet habt und dass beide Herren Euren scharfen Verstand, Eure Besonnenheit und Eure Loyalität gerühmt haben.« Er lächelte huldvoll. »Wie im Übrigen auch Alessandra, die Euch über alle Maßen schätzt. Ich vertraue auf ihr Urteil.«
Caedmons Gesicht glühte, als er den Blick senkte.
»Wieso arbeitet Ihr für Alessandra, und nicht für mich?«, fuhr der Papst fort. »Gefällt Euch Eure Aufgabe als Sekretär?«
Caedmon spielte den bescheidenen Mönch und nickte scheu, ohne aufzusehen. Er wusste, dass ich ihn aufmerksam beobachtete.
Doch wusste er auch, dass Niketas und ich vor einigen Tagen, nach seinem Treffen mit jenem erzürnten Dominikaner, seine Kammer durchsucht hatten? Dass ich ihn für den Mörder meines Vaters hielt? Dass ich glaubte, dass er auch Serafino, Alexios und Natanael getötet hatte? Dass ich argwöhnte, dass er auch mich ermorden wollte, sobald er das Evangelium gefunden hatte, das noch immer in San Marco versteckt war?
»Vielleicht habe ich eine Aufgabe für Euch, die Euch mehr fordert, Bruder Caedmon«, offenbarte ihm der Papst. »In einer vereinigten griechisch-römischen Kirche werde ich Eure Kenntnisse und Fähigkeiten benötigen: Theologie, Kirchenrecht, Lateinisch und Griechisch. Aber vor allem Eure Loyalität zu mir als Eurem Papst. Nach der Unterzeichnung des Unionsdekrets werde ich neue Kardinäle ernennen und etliche Bischöfe entlassen, die mir nicht treu ergeben waren. Macht es Euch nicht allzu bequem im Palazzo d'Ascoli, Bruder Caedmon! Vielleicht werde ich Euch schon bald rufen lassen und Euch ...«
»Euer Heiligkeit!«, protestierte ich energisch. »Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn gehen lasse!«
»Das müsst Ihr auch nicht, meine Liebe«, lächelte er selbstgefällig. »Bruder Caedmon ist Priester - und ich bin der Papst.«
Ich nickte schicksalsergeben.
Eugenius reichte Caedmon die Hand zum Kuss. »Würdet Ihr uns nun allein lassen, Frater? Ich habe vertraulich mit Alessandra zu reden.«
»Euer Heiligkeit, ich danke Euch für die Gnade, die Ihr mir schenkt, und hoffe in aller Demut, mich ihrer würdig zu erweisen.« Caedmon verneigte sich und schritt mit gesenktem Blick rückwärts, um das Arbeitszimmer zu verlassen.
Noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte, murmelte der Papst: »Setzt Euch, Alessandra! Ich habe Euch rufen lassen, um mit Euch über Vitelleschi zu sprechen. Wie Ihr wisst, ist Scarampo in Rom, um dort für Ordnung zu sorgen ...«
Caedmon musste hören, was er mir zu sagen hatte.
Sobald Eugenius sicher war, dass die Tür geschlossen war, verstummte er und ließ sich auf seinem Sessel hinter dem Schreibtisch nieder. »Wie war ich?«
»Glaubwürdig.«
Eugenius lehnte sich zurück und faltete die Hände um sein Brustkreuz. »Denkt Ihr, dass er sich Hoffnungen auf eine Karriere in Rom macht?«
»Es ist mir gleichgültig, was Caedmon sich erhofft. Ich will, dass er sich für eine Seite entscheidet. Ich will, dass er handelt. Damit auch ich endlich handeln kann.«
Er nickte ernst. »Fürchtet Ihr nicht, dass er Euch schon heute Nacht ermorden könnte?«
»Nein, Heiliger Vater. Caedmon sucht das Evangelium.«
»Und nicht nur er«, erwiderte der Pontifex. »Während des Gottesdienstes heute Morgen in der Kathedrale sind erneut meine Gemächer durchsucht worden. Mein Sekretär überraschte einen Dominikaner, der in den Dokumenten auf meinem Schreibtisch wühlte. Er rief die Wachen, aber der Mönch konnte fliehen. Doch er hat ihn erkannt: Der Dominikaner stammt aus dem
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