Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
kann er sich denken, wohin wir wollen.«
Niketas war besorgt, das spürte ich, obwohl ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Letzte Nacht, nach dem Abendessen bei Ludovico Scarampo, der mit seinem Trupp Bewaffneter endlich aus Rom zurückgekehrt war, hatte ich ihm anvertraut, was ich vorhatte - mit dem Evangelium, mit Caedmon und mit Vitelleschi.
Was, wenn ich mich irrte? Was, wenn Caedmon versuchen würde, mich zu ermorden? Tausend Bedenken hatte er gehabt!
Und ich tausendundein Gründe, es trotzdem zu wagen!
Ich wollte Rache für Luca, für Serafino, Alexios und Natanael, für die Attentate auf Prospero und mich, für meinen hingerichteten Großvater Marcantonio Colonna, für meine gefolterten und ermordeten Cousins Lionello, Giordano und Stefano Colonna, für das blutige Massaker an über zweihundert Mitgliedern meiner Familie und deren Gefolgsleuten. Der Kardinal des Satans musste sterben!
Nach allem, was Scarampo mir gestern beim Abendessen erzählt hatte, konnte ein ›Noch nicht! ‹ des Papstes meinen Zorn nicht mehr besänftigen. Der Henker von Rom belagerte Zagarolo, die letzte starke Festung meiner Familie. Lorenzo Colonna würde die Burg, die einige Meilen außerhalb von Rom lag, nicht länger als ein paar Wochen halten können. Die Eroberung unserer letzten Bastion für die Kirche war nur eine Frage der Zeit. Vitelleschi würde Zagarolo bis auf die Grundmauern zerstören, wie er vor einigen Monaten unsere Hauptstadt Palestrina dem Erdboden gleichgemacht hatte. Jeden Colonna-Anhänger, der ihm Widerstand geleistet hat, würde er auf dem Campo dei Fiori enthaupten lassen. Die Macht der Colonna in Rom wäre ein für alle Mal gebrochen.
Aber jetzt ist sie es noch nicht!, dachte ich entschlossen und folgte Tayeb durch das Portal hinaus auf die Piazza del Duomo. Mit einem dumpfen Dröhnen schloss Niketas hinter uns das Bronzetor.
Tayeb zog mich am Ärmel meines Dominikanerhabits und deutete in Richtung des Campaniles. Es war eine sternenklare Nacht zwei Tage vor dem Vollmond, und die Piazza war silberhell erleuchtet.
Ein schwarzer Schatten, der vor uns in die undurchdringliche Finsternis zwischen Glockenturm und Kathedrale zurückwich!
»Bruder Leonidas?«, wisperte Tayeb.
»Ja«, flüsterte ich.
Dasselbe Gesicht wie letzte Nacht, als ich ihn im Feuerschein gesehen hatte. Dieselbe gespannte, zum Sprung bereite Haltung. Derselbe stechende Blick.
Gestern Nacht war ich erst spät vom Abendessen in Scarampos Palast am Domplatz zurückgekehrt. Ich hatte Caedmon gebeten, mich zu begleiten, damit Tayeb während unserer Abwesenheit die Papyri unbemerkt aus der Bibliothek holen und in seine Räume bringen konnte. Als wir den Palast verließen, bemerkten wir den hellen Feuerschein: Der Himmel über Florenz glühte!
Caedmon und ich waren durch die Gassen des Judenviertels zum Mercato Vecchio gerannt. Als wir um die Ecke bogen, hatten wir das Feuer gesehen: Die Synagoge brannte! Flammen schlugen aus den großen Fenstern, und Funken stoben weit hinauf in den sternenklaren Nachthimmel. Schatten huschten über die Piazzetta, um den Brand zu löschen - doch vergeblich.
Der Gebetssaal hatte sich im obersten Geschoss eines jüdischen Hauses befunden. Jeder Versuch, das brennende Gebäude zu betreten und die hölzernen Treppen hinaufzusteigen, wäre Selbstmord gewesen. Ein paar Anwohner waren mit Eimern zum nächsten Brunnen gehastet, um den um sich greifenden Brand zu löschen, bevor das ganze Stadtviertel und der Mercato Vecchio in Flammen standen.
Rabbi Raffaele, der die silberne Mesusa mit dem Schma Israel neben dem Portal der Synagoge abgerissen und gerettet hatte, erkannte mich im Feuerschein und kam zu mir herüber. Die ersten Dachbalken waren krachend herabgestürzt und Funken stiebend auf dem Pflaster zerborsten.
»Wie kam es zu dem Brand?« Ich hatte schreien müssen, damit er mich im Tosen des Feuersturms verstehen konnte.
»Bis auf das Ewige Licht vor dem Tora-Schrein waren alle Kerzen gelöscht. Die Synagoge konnte nicht abbrennen ...«
»... es sei denn, sie wurde absichtlich angezündet«, hatte ich seinen Satz vollendet. »Wo hat es zuerst gebrannt?«
Mit dem ausgestreckten Arm hatte der Rabbi hinauf zum Dachgeschoss des benachbarten Hauses gewiesen, das ebenfalls in Flammen stand. »In der Genisa.«
Mein Blick war über die Piazzetta gehuscht - dann hatte ich ihn gesehen: Wie ein schwarzer Todesengel hatte sich Bruder Leonidas in den Schatten einer schmalen Gasse zwischen zwei jüdischen
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