Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
hinüber, wo der Pontifex nun mit erhobenen Händen über Brot und Wein das Gebet des Herrn sprach.
»Pater noster qui es in coelis ...«, betete Eugenius, und ich übersetzte dem Patriarchen: »Pater hemon ho en tois uranois ...«
»... sanctificetur nomen tuum, adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua, sicut in coelo et in terra ...«
Als ich das Gebet flüsternd ins Griechische übersetzte, lehnte sich auch der Basileus zu mir herüber:
«... hagiasteto to onoma sou, elteto he basileia sou, geneteto to telema sou, hos en urano kai epi ges ...«
Nach dem Paternoster rief der Pontifex: »Der Friede des Herrn sei mit euch!« Er trat vor den Altar und streckte dem Patriarchen in einer einladenden Geste die Hand entgegen. »Gewährt Ihr mir den Friedenskuss, geliebter Bruder in Christo?«
Der Patriarch zögerte. Das war in der Liturgie nicht vorgesehen! Wie sollte er sich dem Papst gegenüber verhalten? Joseph warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu.
Ein Raunen wehte durch die Reihen der orthodoxen Metropoliten und Bischöfe, und auch die Kardinäle in der Apsis gegenüber starrten mich an, als ich mich langsam erhob und dem Papst entgegenging, um seine Hand zu ergreifen.
»Ich gewähre Euch den Friedenskuss - als Primus inter Pares«, murmelte ich so leise, dass nur er mich hören konnte.
Er besann sich auf unsere vertrauliche Unterredung vor einigen Tagen und nickte ernst. Dann beugte er sich vor und küsste mich auf beide Wangen. »Der Friede sei mit Euch, Bruder Niketas!«
»Und mit Euch, Bruder Gabriel!«
»Ihr macht Euch zum Märtyrer«, wisperte er mit einem besorgten Blick auf den Kaiser und den Patriarchen.
»Nein, Bruder Gabriel. Ihr macht mich zum Märtyrer«, wies ich ihn zurecht. »Tut mir und Euch selbst den Gefallen, und unterlasst künftig derartige Abwandlungen der Liturgie! Die lateinische Messe ist für uns demütigend genug. Und bitte bedenkt, Bruder Gabriel: Ich werde Euch keinen weiteren Schritt entgegenkommen. Ich kann es nicht, und ich will es nicht.«
Er nickte stumm.
In diesem Augenblick, da alle Blicke auf den Papst und mich gerichtet waren, erscholl ein entsetzter Schrei. Ich wandte mich um.
Ein Mann mit einem Dolch in der erhobenen Hand rannte geradewegs auf den Kaiser zu, der ihn erschrocken anstarrte. Drei, vier, fünf Schritte, und der Attentäter warf sich auf den Basileus, der keine Gelegenheit mehr hatte, sein Schwert zu ziehen. Mit blitzender Klinge stach er auf ihn ein.
Ioannis packte die Hand des Assassinos und schob sie mit aller Gewalt von seinem Herzen fort.
Der Patriarch war wie gelähmt vor Entsetzen, die Metropoliten und Bischöfe hinter dem Thron wichen furchtsam zurück.
Demetrios, der nicht weit entfernt saß, sprang auf, zog sein Schwert und stürzte zu seinem Bruder.
Großer Gott!, dachte ich. Nein, Demetrios, tu es nicht!
Ich ließ den entsetzten Papst vor dem Altar stehen und rannte los.
Selim war schneller als Demetrios und ich. Ohne zu zögern, stürmte er auf die Kämpfenden zu, warf sich von hinten auf den Attentäter und riss ihn fort vom Basileus.
Der andere taumelte, stolperte, fiel beinahe über die Stufen zum Altar, als Selim herumwirbelte und mit dem Schwert auf ihn einschlug. Der Assassino wich zurück, hob seine Waffe und stürzte sich auf den Prinzen.
»Stirb, du verdammter Verräter!«, brüllte er auf Türkisch.
Selim sprang einen Schritt zurück und duckte sich, um der scharfen Klinge seines Gegners auszuweichen.
Nun hob der Prinz sein Schwert und ließ es auf den türkischen Attentäter niedersausen, der im letzten Moment den langen Dolch hochriss und ihn Selim in die Brust rammte. Dann brach er tot zusammen.
Selim ließ sein blutiges Schwert fallen, das laut auf die Marmorfliesen der Kathedrale polterte, und fasste sich an die Brust. Röchelnd sank er auf die Knie.
Ich fing ihn auf und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten.
»Niketas!«, flüsterte Selim schwach. Blut quoll ihm über die Lippen.
Ich beugte mich über ihn.
Seine Hand tastete nach meiner Brokatrobe, um mich zu sich herabzuziehen. Sein Blut netzte mein Gewand. Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Ist Ioannis noch am Leben?«
Ich sah zum Kaiser hinüber, der sich mit zitternden Knien auf seinen Thron sinken ließ. Demetrios stand neben ihm, das Schwert noch in der Hand. »Ioannis lebt. Er ist unverletzt.«
»Allah sei Dank!«, röchelte er. Ein weiterer Blutschwall sprudelte über seine Lippen. »Niketas ... lass nicht zu ... dass er ... den
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