Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Forschend blickte er mir in die Augen. »Weshalb habt Ihr Euch eigentlich mit ihm zerstritten?«
»Das geht nur ihn und mich etwas an.«
»In den letzten Tagen war er mehrmals hier, um sich mit Euch zu versöhnen. Aber Ihr habt ihn nicht empfangen. Basilios Bessarion ist Euer Beichtvater. Welche Todsünde habt Ihr begangen, die Euch Euer bester Freund nicht vergeben kann? Und mit welchen zornigen Vorwürfen hat er Euch derart verletzt, dass Ihr ihm nicht verzeihen könnt?«
Als ich nicht antwortete, fragte er:
»Kann er Euch Eure Liebe zu Alessandra nicht vergeben?« Erschrocken starrte ich ihn an.
»Glaubt Ihr, ich weiß nicht, was zwischen euch beiden geschehen ist?« Seufzend blickte er sich zu Alessandra um, die reglos neben der Tür verharrte. »Ich war auch einmal verliebt. In Venedig, bevor ich die Mönchsgelübde ablegte.« Er lächelte versonnen. »Die Liebe ist etwas sehr Kostbares. Sie ist geduldig und gütig, nicht stolz oder selbstsüchtig. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, verzeiht alles.«
»Und sie hört niemals auf«, vollendete ich das Zitat aus Paulus' Hohelied der Liebe.
Eugenius nickte stumm - er hatte verstanden, dass ich nicht bereit war, meine Liebe zu Alessandra aufzugeben. Er erhob sich, nahm das Nussbaumkästchen, das sein Sekretär hereingebracht hatte, und stellte es zwischen uns auf meinen Schreibtisch.
»Bruder Niketas, ich bin Euch sehr dankbar. Ihr habt mit Cosimo geredet und einen Streit zwischen uns verhindert. Und letzte Nacht habt Ihr mit Markos Eugenikos gesprochen, der nach der gestrigen Konzilssitzung seine Truhen gepackt hatte, um nach Ephesos abzureisen. Durch Euer beherztes Eingreifen habt Ihr das Scheitern des Konzils abgewendet.«
Ich blickte auf das Kästchen auf dem Tisch und schwieg.
Natanael hatte Recht gehabt.
»Verehrter Bruder, erinnert Ihr Euch an unser Gespräch ›inter Pares‹?« Ich nickte stumm. Und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
»Ihr sagtet, die Kirche sei nicht das von Jesus Christus ersehnte Königreich der Himmel. Sie sei weltlich, fehlbar und schwach, zerspalten und zerstritten. Dennoch müsse sie bewahrt werden. Denn wir haben keine andere Kirche, nur diese eine. Und wenn es sie nicht schon gäbe, müssten wir sie erschaffen. Während des Konzils sollten wir das Beste daraus machen.«
»Ja, das habe ich gesagt.«
Alessandra sah mich beunruhigt an.
Sie ahnte, was in dem Kästchen war.
»An jenem Abend habe ich Euch gefragt, ob Ihr mir als Primus inter Pares helfen würdet, die Kirche neu zu erschaffen, und Ihr sagtet: ›Wenn Ihr die Pares, die Ranggleichen, nicht vergesst.«‹ Der Papst holte tief Luft. »Nun, Bruder Niketas, halte ich mein Versprechen, das ich Euch an jenem Abend gab: ›Einen von ihnen, den ich über die Maßen schätze, hätte ich als erster Pontifex einer griechisch-römischen Kirche sehr gern an meiner Seite!«‹
Er hob den Deckel des Kästchens und zog eine Soutane aus kostbarer, purpurfarbener Seide hervor.
Alessandra starrte mich mit funkelnden Augen an. Eine Träne rann über ihre Wange, aber sie schien sie nicht zu bemerken. Was ging in ihr vor?
»Bruder Niketas«, offenbarte mir der Papst, dem mein bekümmerter Blick zu ihr nicht entgangen war, »ich wäre sehr glücklich, wenn Ihr nach der Unterzeichnung des Unionsdekrets in Italien bleiben würdet. Als designierter Erzbischof von Florenz und erster Kardinal der vereinigten Kirche.«
Am späten Nachmittag empfing mich Patriarch Joseph in seinem Schlafzimmer. Im Nachtgewand saß er im Bett, in einen Berg von Kissen gelehnt. Er war bleich wie der Tod. In den zittrigen Händen hielt er ein schlichtes Holzkreuz. Er hatte das Stundengebet gehalten, als ihm meine Ankunft gemeldet wurde.
»Niketas, mein lieber Junge! Wie schön, Euch zu sehen!«
»Allheiligkeit!«, murmelte ich betroffen und trat ans Bett. »Wie geht es Euch?«
»Ein Schwächeanfall - gestern nach der Konzilssitzung.« Er seufzte aus tiefstem Herzen. »Ich fasse es nicht! Kratzt dieser Trottel die falsche Zeile vom Pergament! Markos beschuldigt die römische Kirche, Texte der Heiligen Schrift und der Kirchenväter zu ›berichtigen‹, um römische Dogmen zu stützen. Und was tun wir? Haben wir es nötig, die Schriften unserer Heiligen zu fälschen, Niketas? Wir sind die wahre Kirche Jesu Christi! Ich war zutiefst beschämt. Dieses Unionskonzil ist eine schwer zu ertragende Demütigung für mich«, bekannte er. »Aber wem sage ich das!«
Ich setzte mich
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