Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
starrte die Schere an. »Nein!«
»Wenn Ihr Euch weigert, werde ich es tun!«
Ich gab nach und nahm die Schere entgegen. »Wie viel?«
Er war erbarmungslos. »Alles.«
Verzweifelt ließ ich mich auf das Bett sinken und barg mein Gesicht in den Händen.
»Ich werde Euch in einer Viertelstunde holen«, verkündete er ungerührt. »Seid dann fertig.«
Ich rang mit den Tränen und nickte, ohne ihn anzusehen. Er schloss die Tür hinter sich und ließ mich allein.
Eine Weile saß ich reglos auf dem Bett und betrachtete das weiße Gewand. Dann trocknete ich meine Tränen, schlüpfte aus meinen Schuhen und legte das Seidenkleid ab. Danach zog ich den wollenen Habit über den Kopf und schnürte die Sandalen. Meinen Siegelring steckte ich in den Geldbeutel, der nur eine Handvoll Fiorini enthielt, und verbarg ihn unter dem weiten Gewand. Ich setzte mich auf den Hocker und ergriff die Schere. Meine Finger zitterten so sehr, dass ich sie beinahe fallen gelassen hätte. Damals hatten sie mir auch das Haar geschnitten! Dann griff ich in mein langes Haar, zog eine Strähne heraus und schnitt sie ab. Die Haare fielen zu Boden. Strähne für Strähne schnitt ich ab, bis mein Haar so kurz war wie das der Mönche.
Wenig später kehrte der Frater zurück. Er klopfte, bevor er die Zelle betrat. »Kommt mit!«
Ich erhob mich und folgte ihm hinaus in den Kreuzgang.
Zwei Fratres kamen uns entgegen. Sie blieben stehen, um uns vorbeizulassen, und tuschelten hinter meinem Rücken über mich. »... Lucas Tochter ...«
»Seid Ihr durch Euren Vater mit dem Leben im Kloster vertraut?«, fragte mich der Dominikaner, der mich nun die Treppe zum Chiostro Grande hinabführte.
»Mein Bruder war Mönch in San Marco in Florenz.«
Er hob die Augenbrauen. »Ich wusste nicht, dass Ihr einen Bruder habt.«
»Fra Serafino degli Innocenti. Luca hat ihn wie einen Sohn erzogen.«
»Der Papst hält sehr viel von ihm. Fra Serafino soll in Kürze Fra Marianos Nachfolger als Prior von Santa Maria sopra Minerva werden, da der ehrwürdige Vater in Kürze andere Aufgaben übernehmen wird.«
»Er wurde ermordet«, stieß ich mit tonloser Stimme hervor. »Fra Serafino ist tot.«
Der Mönch blieb stehen und blickte mich betroffen an. »Das tut mir aufrichtig leid. So kurz nacheinander Euren Vater und Euren Bruder zu verlieren ... Ich werde für sie beten. Der Allmächtige stehe ihnen bei.«
»Danke, Frater.«
»Ich bin Bruder Elia«, stellte er sich vor.
Er führte mich in den Kerker des Konvents, einen langen, weiß verputzten Gang mit düsteren Verliesen, schob eine nur angelehnte Zellentür auf und trat einen Schritt zurück, damit ich hineingehen konnte.
In der offenen Tür blieb ich stehen - ich konnte nicht weiter. Ein Schmerz durchzuckte meine Brust, und ich rang nach Atem. Ich barg mein Gesicht in den Händen. Tränen rannen über meine Wangen.
Es war dieselbe Zelle, in der ich schon als Dreijährige gefangen gehalten wurde!
Fra Elia legte mir tröstend die Hand auf den Arm und schob mich sanft in den winzigen Raum, der mir als Kind so groß erschienen war! Fünf Schritte zwischen der Tür und dem vergitterten Fenster, drei Schritte von einer nackten Steinwand zur anderen. Eine hölzerne Pritsche mit einer Wolldecke. Ein Abtritteimer.
»Ich werde nach dem Vespergottesdienst nach Euch sehen und Euch eine Kerze und eine Bibel bringen. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«
»Gibt es in der Klosterbibliothek Bücher von Seneca? Ich würde gern ein wenig in De brevitate vitae lesen.«
»Ich werde sehen, ob ich es finden kann.«
»Danke, Frater.«
»Seid standhaft!«, mahnte er. »Ihr seid Lucas Tochter. Macht Eurem Vater Ehre!«
Ich zuckte zusammen, als die Tür ins Schloss fiel. Es wurde finster um mich, und ich konnte mich nicht länger beherrschen. Der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit überwältigten mich. Schluchzend rutschte ich an der Tür herunter auf die Fliesen und weinte.
Was war mir in dieser düsteren Zelle angetan worden! Sie hatten mir meine Mutter fortgerissen und sie nebenan gefoltert. Diese Schreie, ihre verzweifelten, qualvollen Schreie!
Was würden sie nun mit mir tun? Schritte - im Gang! Der Prior?
Ich trocknete meine Tränen und erhob mich.
Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, dann öffnete Fra Elia die Tür. Unter dem Arm trug er einen zerlesenen Folianten, in der Hand hielt er eine brennende Kerze.
»Die Bibel. Ich dachte, ich bringe sie Euch noch vor dem Gottesdienst.« Er trat in die Zelle und schob
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