Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Florenz zurückkehren, wollte ich für Angelo, der im Sommer vor zwei Jahren seine Eltern verloren hatte, dasselbe tun.
Wo blieb er nur?
Nach dem Stundengebet der Non erschien Fra Mariano mit sechs Bravi und ließ meine Zellentür aufschließen. Ein Offizier in rot-weißem Wappenrock, Helm und Harnisch trat in die Zelle. »Alessandra Colonna? Folgt uns!«
Ich erhob mich von meinem Bett. Ich hatte gelesen.
»Wohin bringt Ihr mich?«
Keine Antwort.
Panik stieg in mir auf. Meine Knie wurden schwach, und meine Hände zitterten.
»Los jetzt!«, befahl er barsch.
Einer der Bewaffneten riss mir das Buch aus der Hand und schleuderte es zu Boden. Dann trat er hinter mich und tastete mich nach verborgenen Waffen ab. Er fand nichts - meine Fiorini hatte ich Angelo gegeben, meinen Siegelring trug ich an einem Wollfaden aus dem Saum meines Habits um den Hals.
Mit einem Lederriemen wurden mir die Hände gefesselt, dann stießen sie mich grob aus der Zelle. Fra Mariano wartete mit gesenktem Blick im Gang. Er sah nicht auf, als ich an ihm vorbeigetrieben wurde.
Durch den Kreuzgang wurde ich in die Kirche Santa Maria sopra Minerva gezerrt. Dort, vor dem Altar, sah ich Fra Elia. Entsetzt blickte er mich an und bekreuzigte sich hastig. Dann eilte er mir entgegen und ergriff meine gefesselten Hände. »Seid standhaft und verzweifelt nicht! Macht Eurem Vater Ehre!«
Einer der Bewaffneten drängte ihn zur Seite.
Der Dominikaner blickte mir nach, bis wir die Basilika durch das Hauptportal verlassen hatten.
Auf der Piazzetta della Minerva warteten etliche berittene Bravi, die den rot-weißen Wappenrock mit Vitelleschis Hoheitszeichen trugen. Ein Pferd wurde für mich herangeführt. Der Capitano half mir in den Sattel, ergriff die Zügel, schwang sich auf seinen Hengst und trabte mit mir die Gasse entlang nach Süden, zur Via Papalis.
Die päpstliche Zeremonialstraße zwischen Vatikan und Lateran war für den Empfang des Patriarchen prächtig herausgeputzt worden. Ein mit Lorbeer geschmückter Triumphbogen aus Pappmache, ähnlich dem des Kaisers Titus auf dem Forum, überragte die Via Papalis. Statt der Darstellung von Titus' Siegeszug mit der kostbaren Beute aus dem Tempel von Jerusalem erkannte ich einen siegreichen Condottiere, der die unermesslichen Schätze der Colonna in den Vatikan zurückschleppte, darunter eine Papstkrone. Nach Eugenius' Wahl zum Pontifex hatten sich die Colonna geweigert, Martins Tiara und die päpstlichen Insignien herauszugeben. Monatelang hatten sie die kostbaren Schätze in ihrem Palazzo verwahrt.
Doch nun ist die Macht der Colonna gebrochen, dachte ich verbittert, und wir werden hingerichtet oder ins Exil geschickt.
Wir trabten die mit weißen und roten Blüten, Lorbeerzweigen und Seidenbannern geschmückte Via Papalis entlang in Richtung des Campo dei Fiori. Meine gefesselten Hände verkrampften sich. Ich hatte furchtbare Angst.
In diesem Augenblick sah ich Tito.
Hundert Schritte entfernt trabte er über die Via Papalis und bog in die Gasse ein, die zum Campo dei Fiori führte. »Tito!«, rief ich, so laut ich konnte. »Tiiitooo!« Doch er hörte mich nicht und verschwand aus meinem Blickfeld. »Schweigt!«, fuhr mich der Offizier an.
Tito ist in Rom!, dachte ich aufgeregt. Wieso hat er mich nicht besucht? Ich hatte Niketas und Cosimo doch geschrieben, wo ich festgehalten wurde. War mein Brief denn nie in Florenz angekommen? Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Tito suchte mich. Er hatte keine Ahnung, wo ich war und ob ich noch lebte!
Und Niketas? War auch er nach Rom gekommen?
Der Capitano von Vitelleschis Leibgarde hieb seinem Hengst die Absätze seiner Stiefel in die Flanken und galoppierte nun mit mir hinab zum Tiber. Ich warf einen Blick in die Gasse, die nach links zum Campo dei Fiori führte. Da war Tito! Er ritt zum Blumenmarkt. Doch er drehte sich nicht nach mir um.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Niketas ... Cosimo ... der Papst - sie hatten keine Ahnung, wo ich war!
Tränen der Hoffnungslosigkeit stiegen in meine Augen. Trotzig wischte ich sie mir mit den gefesselten Händen ab.
Wir bogen ab zum Ponte Sant'Angelo, überquerten den Tiber und hielten vor der Zugbrücke der Engelsburg. Der Offizier, der mein Pferd am Zügel geführt hatte, sprang ab und verlangte nach Antonio Rido. Während er auf das Erscheinen des Festungskommandanten wartete, bildeten Vitelleschis Leibwächter einen engen Kordon um mich. Zwischen den Bravi hindurch hielt ich Ausschau nach
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