Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
während des Vespergottesdienstes, und hol dir den nächsten Ducato!«
Zwei Tage später meldete mir Angelo, dass meine Nachricht an Prospero verschwunden war. Aber kein neuer Zettel hing an der ›sprechenden Statue‹. Offenbar war mein Cousin nicht in Rom, und ich musste mich einige Tage gedulden, bis ich auf eine Antwort hoffen durfte.
Doch selbst wenn Prospero die Nachricht entschlüsseln konnte und wusste, wo ich war - wie sollte er mich befreien? Santa Maria sopra Minerva, das Hauptquartier der römischen Inquisition, war eine Festung, die auch mit fünfzig bewaffneten Gefolgsleuten nur sehr schwer einzunehmen war. Und wenn Prospero eines Tages Papst werden wollte - die Hoffnung, seinem Onkel, Papst Martin, nachzufolgen, hatte er trotz seiner Verbannung durch Eugenius noch nicht aufgegeben -, dann durfte er sich auf keinen Fall mit der Inquisition anlegen. Was also sollte er tun?
Am nächsten Abend warf mir Angelo ein zerknülltes Spottgedicht auf ›den göttlichen Caesar‹ in die Zelle, in dem die unstillbare Blutgier und der Größenwahn des römischen Imperators - genannt war Nero, gemeint war Vitelleschi - angeprangert wurde. Der Verfasser hatte mit SPQR unterzeichnet: Senatus Populusque Romanus - Senat und Volk von Rom. Irgendjemand hatte S und Q energisch durchgestrichen und darunter geschrieben: »Das Volk von Rom ruft: Es lebe die römische Republik!«
Und am Tag darauf las ich eine Schmähschrift gegen Vitelleschi, in der der Kardinal mit den apokalyptischen Reitern aus der Offenbarung des Johannes verglichen wurde.
Als das Lamm, gemeint war Jesus Christus, das erste der sieben Siegel zerbrach, erschien ein Reiter mit Siegeskranz - eine Anspielung auf Vitelleschis militärische Erfolge als päpstlicher Heerführer. Doch dann öffnete es das zweite Siegel: »Und der Reiter wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben ...« Ein Schwert, das Krieg und Gewalt symbolisierte. Als das dritte Siegel geöffnet wurde, brachen Hunger, Pest und Armut herein, das vierte Siegel brachte den Tod. »Und als das Lamm das fünfte Siegel zerbrach, erschienen unter dem Altar die Seelen aller, die im Namen Satans hingeschlachtet worden waren wegen ihres Bekenntnisses wider den Antichrist. Sie riefen mit lauter Stimme: Wie lange zögerst Du noch, Herr, Gericht zu halten und unser Blut zu rächen!«
Und ein paar Zeilen weiter las ich: »Herr, unser Gott, lass nicht zu, dass Satan Deinen Tempel schändet und mit Blut beschmiert!«
Die Tage vergingen, doch Prospero antwortete nicht. Wo war er? Lebte er noch? Schließlich gab ich die Hoffnung auf, dass er mich befreien würde. Und auch von Niketas und Cosimo erhielt ich keine Nachricht. War mein Brief jemals in Florenz angekommen?
Am 15. April kehrte Vitelleschi im Triumphzug nach Rom zurück. Den prunkvollen Einzug auf der Via Papalis zwischen Vatikan und Lateran konnte ich nicht sehen, aber hören. Die Posaunen, die Trommeln, die wiehernden Pferde, die Schritte seines marschierenden Heeres, das die Festung Zagarolo eingenommen hatte, das Rumpeln der schwer beladenen Beutewagen mit dem Besitz der Colonna und das Jubelgeschrei der Menge am Straßenrand, die Vitelleschi huldigte, als wäre er der Papst.
Die Macht der Colonna in Rom war nach acht Jahren Krieg gebrochen - die letzte Festung war gefallen. Welch ein Triumph für Vitelleschi!
Was würde nun mit Lorenzo Colonna geschehen, der die Burg verteidigt hatte? Ich nahm an, dass mein Cousin noch an diesem Abend auf dem Campo dei Fiori hingerichtet werden würde - als Krönung von Vitelleschis großartigem Sieg.
Und womöglich würde der Kardinal mich in Büßerhemd und Ketten zum Campo bringen lassen, damit ich dem Spektakel von Lorenzos Enthauptung ein wenig mehr Glanz verlieh - als gefangene Colonna, die dank der Großmut und Milde Seiner Eminenz begnadigt wurde. Denn Vitelleschi konnte mich nicht töten, bevor er das Evangelium in Händen hielt!
Stundenlang wartete ich vergeblich auf Angelo, den ich zur Via Papalis geschickt hatte, damit er mir später von Vitelleschis Siegeszug berichtete. Doch er kam nicht, und ich begann mir Sorgen um ihn zu machen. Mittlerweile hatte ich den Jungen ins Herz geschlossen. Er erinnerte mich an Niketas, der wie Angelo auf der Straße gelebt hatte, bis sich Rabbi Aviram seiner erbarmte, ihm ein Heim und eine Familie gab und ihn Lesen und Schreiben lehrte. Sollte ich je nach
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