Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
tun sollt. Er ist den Schritt gegangen, vor dem Ihr Euch so sehr fürchtet.« Fra Antonino legte mir die Hand auf den Arm. »Geht zu ihm, und vertraut Euch ihm an.«
Fra Antonino war mit Luca eng befreundet, obwohl Eugenius ihn vor acht Jahren exkommuniziert hatte. Die beiden Dominikaner kannten sich aus der Zeit, als Fra Antonino Prior im römischen Kloster Santa Maria sopra Minerva gewesen war und Fra Luca d’Ascoli nach seiner Rückkehr vom Konzil in Konstanz als Legat von Papst Martin und Inquisitor von Rom dort residiert hatte.
»Das werde ich tun! Ich will mich Luca anvertrauen.«
»Ich werde für Euch beten«, versprach er sanft.
Mit einem Dank erhob ich mich, nahm mein Manuskript und warf einen letzten Blick auf Fra Angelicos Fresko. Dann verließ ich den Kapitelsaal und durchquerte den Kreuzgang des Klosters. Ein Frater öffnete mir das Tor des Konvents, und ich trat hinaus auf die Piazza San Marco. Gegenüber der Klosterkirche und dem Portal des Konvents erstreckten sich die weitläufigen Gärten von San Marco mit ihren Obstbäumen, die an diesem Nachmittag einen zauberhaften Anblick boten. In der Nacht hatte es erneut geschneit: Schnee lag auf den dunklen, knorrigen Ästen. Von weitem schien es, als stünden die Bäume in voller Blüte.
Um mich vor dem eisigen Wind zu schützen, zog ich die Kapuze meines Skapuliers über den Kopf. Ich genoss den Spaziergang in der kristallklaren Winterluft und schlenderte die Via Larga zum Domplatz und dem Baptisterium hinunter. Der Dom Santa Maria del Fiore mit Brunelleschis berühmter Kuppel war nach der Hagia Sophia die zweitgrößte Kirche der Christenheit. Die Kathedrale aus rötlichem Stein sollte in den nächsten Jahren eine Fassade aus weißem, grünem und rotem Marmor erhalten.
Die Häuser an der Piazza del Duomo waren aus Sandsteinquadern und Ziegeln errichtet worden. Übergänge aus Holz oder Brücken aus Stein verbanden die eng stehenden Häuser und stützten sie gegeneinander ab. Die Geschlechtertürme der stets kampfbereiten Familien ragten stolz in den Himmel empor. Die letzte blutige Fehde zwischen Rinaldo degli Albizzi und Cosimo de' Medici, die Cosimo beinahe das Leben gekostet hätte, lag erst sechs Jahre zurück. Im Oktober 1433 war Cosimo lebenslänglich nach Venedig verbannt worden. Ein Jahr später kehrte er jedoch im Triumph zurück nach Florenz und übernahm die Regentschaft. Seither herrschte Ruhe in den Straßen von Florenz.
Vor dem Domportal lagerten mehrere Stapel Bretter, die von Bauarbeitern in die Kathedrale geschleppt wurden. Offenbar ließ Cosimo Tribünen für die Konzilssitzungen errichten. Vor dem linken Seitenschiff der Kathedrale zimmerten Handwerker ein überdachtes Podest: Hier sollte der Empfang für den in wenigen Tagen nach Florenz zurückkehrenden Papst und den byzantinischen Kaiser stattfinden.
Zwischen der Taufkapelle und dem erzbischöflichen Palast gegenüber dem Dom spazierte ich in Richtung der Loggia del Bigallo, wo ich mir an einem Stand des Apothekers Matteo Palmieri eine Tüte Marzipan kaufte. Ich naschte ein Stück Konfekt und blickte an Giottos Campanile empor. Am Tag nach meiner Ankunft hatte Cosimo mich die vierhundertvierzehn Stufen hinaufgeführt, um mir Florenz von oben zu zeigen: ein atemberaubender Anblick! Obwohl ich mich nach mehr als einem Jahr Abwesenheit nach Konstantinopolis zurücksehnte, nach der Hagia Sophia und meinem Kloster mit dem Blick auf das tiefblaue Marmarameer, hatte ich mich sofort in dieses Juwel einer Stadt verliebt!
Lucas Palast lag an der Südseite der Piazza del Duomo, nur wenige Schritte vom Campanile entfernt, direkt unterhalb der Domkuppel. Der Palazzo legte beredtes Zeugnis ab von der Macht, dem Ansehen und dem Reichtum seines Besitzers.
Wie immer stand das Portal weit offen. Also trat ich durch den Torbogen in den Innenhof, der wie der Kreuzgang eines Klosters von Arkaden gesäumt war. Hinter den hohen Glasfenstern im ersten Stock funkelte das goldene Licht der Kerzen, die trotz der schneeschweren Wolken am düsteren Winterhimmel Lucas Bibliothek erleuchteten.
Von meinem letzten Besuch wusste ich, dass sich der Bibliothekssaal und das Scriptorium im ersten Stock des Palazzos befanden. In jedem Winter trat der Arno über die Ufer und überflutete die Stadt wie Venedig bei Acqua alta - so waren die kostbaren Bücher und die Arbeitsräume der Schreiber geschützt.
Ich naschte noch ein Stück Konfekt, während ich die Treppe in den ersten Stock hinaufstieg. Oben betrat
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