Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
ihm, hat gesagt: Die Welt ist eine Brücke. Geht über sie hinüber, aber lasst euch nicht auf ihr nieder. «‹
»Das scheint derselbe ...«, begann ich, als Vittorino leise die Tür öffnete und den Kopf hereinsteckte.
»Ich weiß, Ihr wolltet nicht gestört werden.« Sein neugieriger Blick huschte zu den Papyri auf dem Schreibtisch.
»Was ist denn?«
»Ich habe mit dem Sekretär des Papstes gesprochen. Seine Heiligkeit hat den Befehl gegeben, Luca jederzeit zu ihm zu lassen, wenn er es wünschte. Dasselbe gilt nach Meinung von Fra Domenico auch für Euch. Der Papst wird morgen Nachmittag in Florenz eintreffen.
Sobald er nach der offiziellen Begrüßung durch Cosimo nach Santa Maria Novella zurückgekehrt ist, wird er Euch empfangen.«
»Danke, Vittorino.«
»Noch etwas: Der Metropolit von Athen ist eben gekommen. Er wartet in der Kapelle!« Vittorino schloss die Tür hinter sich.
»Wir machen morgen weiter!«, entschied ich. »Ich will möglichst viele der zerbrochenen Fragmente rekonstruieren, bevor ich morgen Abend mit dem Papst spreche.«
Tayeb half mir, die Papyri in die Rosenholzkassette zu legen.
»Möchtest du mit uns zu Abend essen?«, fragte ich ihn, während ich die Schatulle verschloss, doch er winkte ab:
»Ich würde heute Abend gern allein sein.«
»Und ich will heute Nacht auf keinen Fall allein sein!«
Als ich wenig später die Kapelle betreten wollte, hielt ich inne. Durch die halb offene Tür sah ich Niketas vor Lucas Katafalk stehen. Er hatte die schwarze Robe eines Metropoliten angelegt, allerdings ohne goldenes Brustkreuz und Panagia-Medaillon. Auf seinem Haar trug er die schwarze Haube mit dem Schleier, der ihm weich über die Schultern fiel. Im Licht der Altarkerzen leuchtete sein Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen, die Arme ausgebreitet und betete leise und sehr eindringlich.
Im Herzen berührt beobachtete ich ihn, hinter der Tür verborgen. Der Tod meines Vaters hatte ihn getroffen. In der Tiefe seiner Seele war er aufgewühlt.
Wie gern hätte ich ihn umarmt, um ihn zu trösten!
Schließlich besann ich mich. Was tat ich hier? Wieso starrte ich ihn an? Bevor ich die Kapelle betrat, musste ich ihm Gelegenheit geben, seine Tränen zu trocknen und die Fassung wiederzuerlangen!
Widerstrebend riss ich mich von seinem Anblick los und huschte auf Zehenspitzen den Gang entlang zurück zur Treppe, die ich ein paar Stufen hinaufstieg. Dann drehte ich mich um, raffte meinen Seidenrock, hastete die Stufen wieder hinab und rauschte so geräuschvoll wie möglich zurück zur Tür der Kapelle. Er musste mich hören!
Als ich eintrat, hatte er sich beruhigt. Nur in seinen dunklen Augen schimmerte noch die Traurigkeit.
Ich wollte vor ihm niederknien, um die Hand zu küssen, aber er ließ es nicht zu. »Ich bin seht glücklich, dass Ihr mich eingeladen habt, Kyria Alessandra«, gestand et. »Ich hätte es nicht ertragen, heute Abend allein zu sein.«
»Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid, Euer Seligkeit.«
Sein Blick glitt über mein rotes Seidenkleid und blieb an einer Papyrusfaser an meinem Ärmel hängen. Mit spitzen Fingern nahm er sie und zerrieb sie zwischen seinen Fingern. Sein leises Lächeln war unergründlich. Schließlich hob er den Blick. »Ich habe etwas mitgebracht.« Er nahm ein Futteral aus purpurnem Brokatstoff vom Chorgestühl, löste die Verschnürung und zog eine Ikone hervor.
Es war eine herrliche Darstellung von Jesus Christus in königsblauer Robe auf Blattgoldhintergrund. In der einen Hand hielt er das Evangelium, das mit funkelnden Rubinen und Saphiren verziert war, die andere war segnend erhoben.
»Was für eine schöne Ikone!«, staunte ich. »Sie ist sehr kostbar.«
»Mein Bruder hat sie mir anlässlich meiner Bischofsweihe geschenkt. Ich wollte, dass Luca sie bekommt.«
»Er hätte sich darüber sehr gefreut«, beteuerte ich. »Mein Vater hat oft von Euch gesprochen. Als Cosimo beschloss, das Konzil nach Florenz zu holen, da sagte Luca, dass er sich darauf freue, Euch endlich kennenzulernen.«
»Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn diese Ikone Luca auf seinem letzten Weg begleitet. Wenn Ihr erlaubt, Kyria ...«
Ich folgte ihm zu Lucas Katafalk. Behutsam versuchte er die gefalteten Hände meines Vaters anzuheben, um die Ikone darunterzuschieben, aber die Totenstarre hatte nun vollends eingesetzt. Ich half ihm, die Falten von Lucas Brokatrobe so zu arrangieren, dass mein Vater die Ikone im Arm halten konnte wie Jesus Christus das Evangelium. Wir
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