Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
zurückgebundenen Bettvorhängen aus Samt stand in einem Schlafgemach mit einem Marmorkamin, in dem die Asche nur noch glühte.
Im Schein der Kerze sah ich sie: Alessandra saß in einem bequemen Sessel vor der Feuerstelle, ihre Beine ruhten auf einem zweiten Stuhl. Anstelle des Seidenkleides trug sie nun ein Nachtgewand. Auf ihren Knien lagen mehrere Pergamentblätter, weitere waten auf dem Boden neben dem Sessel verstreut. Sie war beim Lesen eingeschlafen. Ihre blauen Augen, die mich gestern so verwirrt hatten, waren geschlossen, die sinnlichen Lippen leicht geöffnet, der Kopf war zum Feuer geneigt. In langen Kaskaden fiel ihr das dunkle Haar über die Schultern bis zur Hüfte.
Während ich sie betrachtete, stoben wieder Lichtfunken vor meinen Augen. Dann ein schmerzhaft greller Blitz - wie gestern Abend an Lucas Katafalk! Stöhnend ließ ich mich in die Kissen zurücksinken und rieb mir mit den Fingern die Schläfen.
Sie erwachte, richtete sich auf und sah mich an. Dann legte sie die Pergamentblätter weg, kam zu mir herüber und setzte sich auf den Rand des Bettes.
»Ich bin so froh, dass es Euch besser geht!« Sie sprach Griechisch mit temperamentvollem italienischem Akzent. »Ich hatte solche Angst um Euch! Es war ein sehr schwerer Anfall.«
Verlegen rückte ich von ihr weg, entzog ihr meine Hand, die sie sanft gestreichelt hatte, und zerrte an der Bettdecke. Sie war mir viel zu nah! Und ich war allein mit ihr in ihrem Schlafzimmer. Das war mehr als unschicklich.
Sie erriet meine Bedenken und wies zur offenen Tür. »Mein Freund Tayeb schläft nebenan. Auch seine Schlafzimmertür steht weit offen. Obwohl er uns nicht sehen kann, hört er doch jedes Wort, das wir miteinander sprechen. Die Regeln des Anstands bleiben also gewahrt.«
»Vergebt mir, mein Anfall hat Euch erschreckt«, murmelte ich beschämt.
»Nicht der Rede wert.«
»Warum seid Ihr nicht zu Bett gegangen? Der Tod Eures Vaters muss Euch sehr ...«
»Ich wollte Euch nicht allein lassen, Niketas. Nicht nach diesem schweren Anfall. Als Ihr Euch vorhin für die Einladung bedankt habt, sagtet Ihr, dass Ihr es nicht ertragen hättet, in dieser Nacht allein zu sein.« Sie senkte die Lider und gestand leise: »Ich wollte auch nicht allein sein.« Als sie wieder aufsah, trafen sich unsere Blicke. »Wie fühlt Ihr Euch?«
»Ich habe furchtbare Kopfschmerzen.«
Sie nahm das silberne Fläschchen mit Natanaels Wundermittel vom Nachttisch und zeigte es mir. »Ich habe die Phiole in der Tasche Eurer Soutane gefunden. Das Mittel scheint Opium zu enthalten, und ich dachte, dass es gegen die Krämpfe helfen könnte.«
»Mein Arzt hat mir die Tropfen gegeben. Sie sind gegen die Schmerzen. Einen Anfall können sie nicht verhindern.«
Ich nahm ihr das Fläschchen aus der Hand. Unsere Finger berührten sich dabei.
»Ich habe um Euer Leben gefürchtet«, gestand sie. »Der Status epilepticus kann tödlich enden.«
Ich leerte die Phiole und gab sie ihr zurück.
»Es war der schwerste Anfall, den ich jemals hatte. Ihr habt mir das Leben gerettet, Alessandra! Ihr habt mich aufgefangen, als ich gestürzt bin. Wäre ich mit dem Kopf auf den Marmorboden geschlagen, hätte ich vielleicht nicht überlebt.«
»Ihr erinnert Euch an den Anfall?«, fragte sie bestürzt. Als ich nickte, senkte sie den Blick. »Dann habt Ihr gehört, was ich gesagt habe?«
»Jedes Wort. ›Ich bin bei dir, Niketas! Du bist nicht allein!‹, habt Ihr geflüstert, während Ihr mich im Arm gehalten habt. ›Sei ganz ruhig, Niketas!‹ Das hat mir sehr geholfen!«
»Ich wollte Euch nicht zu nahe treten«, entschuldigte sie sich und errötete. »Der vertrauliche Ton war Eurem Rang gewiss nicht angemessen.«
»Schon gut!«, winkte ich ab. »Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich stehe tief in Eurer Schuld.«
»Seit wann habt Ihr diese epileptischen Anfälle?«
»Seit zwei Jahren.«
»Waren sie immer so schlimm?«
»Beim ersten Mal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht, und da war diese Erfahrung eines grenzenlosen, sich ausdehnenden Geisteszustands - anders kann ich es nicht beschreiben. Ich sah tanzende Lichtfunken vor meinen Augen. Die Farben waren so intensiv leuchtend, die Geräusche so bestürzend klar. Ich war so feinsinnig! Ich empfand einen großen Segen und das ekstatische Gefühl von Gottesnähe. So begann es. Im Laufe der Monate wurden die Anfälle stärker. Ich durchlitt Höllenqualen. Während der Seereise nach Venedig stürzte ich zum ersten Mal. Mein Freund Natanael
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