Der vergessene Strand
Mutlos ließ sie die Hände in den Schoß sinken. Ihre Unterlippe bebte.
«Ich hab es von Anfang an geahnt.»
«Ich dachte, wenn ich dir sage, sie ist tot … Ich kann doch mein Kind nicht hergeben! Sie ist G-s Tochter!»
«Ach, Liebes.» Beatrix stand auf. Sie zog Anne auf die Füße und umarmte ihre Schwester. «Ich weiß doch, wie viel wir von dir verlangen. Aber willst du nicht das Beste für sie?»
«Franny ist gut zu ihr. Sie wird immer für Antonia sorgen, wenn ich ihr etwas Geld schicke.»
«Dann ist sie also bei Franny.»
«Ich besuche die beiden sooft ich kann. Jeden Tag.»
Beatrix musste sich wieder setzen. Sie verstand ihre Schwester so gut! Trotzdem – in diesem einen Fall musste sie hart bleiben.
«Du kannst nicht länger hierbleiben, Bumble. Ich werde dich mit nach London nehmen, und dann telegraphiere ich Sir Cornelius, dass er bald herkommt. Ich kann nicht dulden, dass du länger hierbleibst.»
«Aber warum nicht?», begehrte Anne auf. «Sie ist meine Tochter, ich habe jedes Recht, bei ihr zu sein!»
«Verstehst du denn gar nichts? Die Duchess hat in London so viel Macht, dass sie uns allen das Leben zur Hölle machen wird. Es geht nicht allein um dich, Bumble! Unsere ganze Familie könnte in den Abgrund gestürzt werden, und das nur, weil du diesem Kind anhängst! Bald sind meine Töchter in dem Alter, dass sie in die Gesellschaft eingeführt werden. Georgie geht nach Eton. Meinst du, ich will, dass er dort von den anderen Jungen geschnitten und gequält wird? Was du hier tust, wird letztlich auf uns alle zurückfallen. Wenn irgendwann das Gerücht die Runde macht, dass G- eine uneheliche Tochter hat, ist das unser aller Untergang!»
Anne senkte betreten den Kopf.
«Daran habe ich nicht gedacht», flüsterte sie.
Beatrix atmete tief durch. «Franny sorgt gut für das Mädchen?»
«Jeder denkt, es ist ihres. Wir haben überall herumerzählt, sie hätte eine Schwester, die sei bei der Geburt gestorben, und dann hätte sie’s zu sich genommen. In einem Jahr oder in zweien fragt kein Mensch mehr, ob es ihres ist oder nicht.»
«Dann willst du nicht, dass die Kleine in einer guten Familie aufwächst? Sondern hier, im Elend?»
«Ich werde ihr Geld schicken, jeden Monat. Und wenn alles dafür draufgeht, was Cornelius mir zugesteht.»
«Er wird dich schon nicht kurzhalten.» Sie seufzte. Die ganze Situation war irgendwie vertrackt. Wenn sie einfach versuchte, der Sache ihren Lauf zu lassen?
«Kein Wort zu Trisk. Niemals. Und auf gar keinen Fall auch nur ein Wort zu G-.»
Anne nickte bang. «Ich will ihn ohnehin nicht wiedersehen. Es … bestimmt tut es noch mehr weh, wenn ich ihn wiedersehe.»
«Also gut.»
Beatrix hatte eine Entscheidung getroffen. Vielleicht würde sie diese Entscheidung eines Tages bereuen. Aber auch sie war eine liebende Mutter, und deshalb konnte sie Anne so gut verstehen. Und sie liebte ihre Schwester.
Manchmal musste man für die, die man liebte, etwas riskieren.
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Kapitel 19
N iemand sollte ihr später vorwerfen können, dass sie es nicht wenigstens versucht hatte.
Denn das hatte sie wirklich. Zwei quälend lange, anstrengende Wochen lagen hinter ihr, und sie hatte alles gegeben. Für den Familienfrieden, für ihre Mutter, für Michael. Nur abends, wenn sie sich ein bisschen Zeit für sich erbat, genoss sie die Einsamkeit und schüttelte alle Sorgen um andere Menschen ab. Stundenlang schrieb sie Mails an Diana, in denen sie ihre Situation beschrieb. Und dann starrte sie blicklos auf die knappen Antworten, denn Diana war wieder mal in eine neue Liebe verstrickt. Und die ließ ihr offenbar keine Zeit, auf Amelies Probleme einzugehen. Über die Schwangerschaft freute Diana sich ehrlich, das spürte Amelie – gerade auch, weil Diana mitbekommen hatte, wie sehr Michael und sie sich ein Kind gewünscht hatten. Sie versprach, aus neuseeländischer Merinowolle – davon gab’s da unten ja mehr als genug – niedliche Babyjäckchen in Rosa und Bleu zu stricken. Das brachte Amelie zum Lachen. Diana und stricken, schon klar!
Weil Amelie aber nicht alles schrieb, bekam sie auch nicht die Antworten, auf die sie insgeheim hoffte. Es war ihr einfach nicht möglich, davon zu erzählen, wie ihre Gedanken ständig um Dan kreisten, wie sie immer wieder versucht war, ihm zu schreiben oder ihn anzurufen, weil sie sonst einfach verrückt wurde. Niemand ermutigte sie, ihrem Herzen zu folgen. Diana machte Scherze, erkundigte sich nach Amelies Mutter
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