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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Fahrradkindersitz hatte fallen lassen, ohne zu wissen, wo oder warum. Wie ihre Mutter lachend unter die Büsche kroch und sie das Kätzchen schließlich am Straßenrand fanden – mehrmals überfahren, völlig verdreckt und mit nur noch einem Glasauge.
    Amelie blieb stehen. Woher kamen all diese Erinnerungen auf einmal? War das nur, weil sie wieder an den Tag denken musste, an dem sie das Buch aus dem Schrank stibitzt hatte?
    Sie schaute auf und blinzelte verwirrt. Was sie vor sich sah, hatte sie nicht erwartet. Andererseits wusste sie gar nicht, was genau sie erwartet hatte.
    Das Cottage war wie so viele andere in dieser Straße: aus Stein erbaut, mit einem Schieferdach und weißen Läden vor den Sprossenfenstern. Die Tür war vor langer Zeit blau gestrichen worden, und obwohl Amelie nur ihr altes, verwittertes Holz sah, von dem die blaue Farbe im Laufe der Jahre in großen Placken abgesprungen war, sah sie sie, wie sie damals gewesen war: frisch gestrichen und makellos.
    Zögernd trat sie näher.
    Sie kannte diese Tür. Sie war ihr merkwürdig vertraut, wie eine alte Bekannte, der man plötzlich auf der Straße gegenübersteht und die man für den Moment nicht einordnen kann.
    Ohne darüber nachzudenken, drückte sie auf den Klingelknopf neben der Tür.
     
     
    Für Anne war alles aufregend. Bee heiratete, das war für die ganze Familie ein großer Tag. So viel hatte sie verstanden.
    Aber wie groß war ihr Kummer, als sie begriff, was diese Hochzeit tatsächlich für sie bedeutete! Alle Sachen, die Bee besaß, wurden in Truhen und Schrankkoffer verstaut. Die Dienstmädchen hatten die Aussteuertruhe, an deren Inhalt Bee immer so eifrig gearbeitet hatte, aus der Ecke geholt. Damastservietten, Tischdecken, Deckchen, Laken, all diese strahlend weißen Wäschestücke, wurden ein letztes Mal gewaschen, geplättet und sorgfältig zusammengelegt und wieder in der Truhe verstaut, stets unter dem wachsamen Auge von Maman.
    «Sie wird’s nicht brauchen, aber es ist besser, wenn sie die Sachen mitnimmt. Ihre Schwiegermutter wird sich dafür interessieren.»
    Warum ein Stapel Wäsche für die Mutter von Bees Verlobtem von Interesse war, fragte Anne leise. Maman, die in Gedanken wieder ganz woanders war – vermutlich bei den Vorbereitungen des Hochzeitsempfangs oder bei den Planungen für die Hochzeitsreise, die Mr. Trisk ihr übertragen hatte –, überhörte die Frage, und Anne fragte kein zweites Mal. Sie hatte begriffen, dass die Hochzeit keinen Platz für sie ließ. Für niemanden war mehr Platz, für die Brüder nicht, für den Vater ebenso wenig, der beim Abendessen manchmal scherzte, man könne meinen, Maman wolle Mr. Trisk heiraten und nicht Bee.
    Weil sie von Maman keine Antworten bekam, lief Anne zu Bee. Ihre große Schwester saß in dem kleinen Zimmer unterm Dach des schmalen Stadthauses, in dem die ganze Familie kaum Platz hatte, wenn sie in London weilte. Dennoch bewohnte Bee dieses Kämmerchen allein. Sie saß am Schreibtisch, der direkt unter dem Fenster stand, und schrieb einen Brief. Doch als Anne sich zu ihr schlich, blickte sie sofort auf. «Bumble!»
    Bee freute sich, sie zu sehen. Sie hatte immer Zeit für Anne, obwohl sie sieben Jahre älter war und sich schon in der Welt der Erwachsenen bewegte.
    «Warum brauchst du deine Aussteuer nicht?», platzte Anne mit der Frage heraus, die ihr auf der Zunge brannte. «Maman sagt, du würdest sie nicht brauchen, aber Mr. Trisks Mutter würde sie gern sehen wollen.»
    «Ach, Bumble. Das ist kompliziert.»
    «Erklärst du’s mir?»
    Anne lehnte am Schreibtisch. Hinter dem Rücken griff ihre rechte Hand nach dem linken Arm und zog ihn nach hinten. Zugleich balancierte sie auf dem linken Fuß und stützte den rechten gegen das Schienbein.
    «Steh gerade», murmelte Bee automatisch. Sie stand selbst gern so. Maman tadelte sie deshalb immer. Bei Anne sagte sie noch nichts. Anne war noch nicht dem Schulzimmer entwachsen. Wenn Bee heiratete und fortging, würde Maman sich sicher bald mehr um Annes Erziehung kümmern. Das hatte sie gestern beim Abendessen angekündigt. Anne hatte es als Bedrohung und Verheißung gleichermaßen begriffen.
    «Hast du schon was für die Aussteuer beisammen?»
    Anne nickte ernst. Letzten Winter hatte sie begonnen, die ersten Servietten zu besticken. Eine mühsame Arbeit, die die Augen anstrengte und sie schnell müde machte. Die ersten Versuche waren zudem missglückt, und Maman hatte geschimpft.
    «Sieh mal, Maman hat immer gedacht,

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