Der vergessene Strand
nötig.»
«Das kann doch nicht sein!» Entgeistert starrte sie ihn an. «Ich meine, es tut mir so leid, dass ich Ihre Gastfreundschaft …»
«Ach, macht nichts.» Er räumte den leeren Teller weg und lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen. «Wollen Sie’s jetzt machen?»
Entgeistert starrte sie ihn an.
«Den Test.»
«Oh, ach so.» Herrje, sie war wirklich begriffsstutzig. «Was kriegen Sie dafür?»
Er winkte ab. «Das können wir später erledigen.»
Sie ging in das winzige Bad und hantierte ungeschickt mit der Verpackung. Las die Anleitung, verstand kein Wort. Riss die Folienpackung auf, pinkelte auf das Stäbchen, legte es auf den Waschbeckenrand und wartete.
Fast augenblicklich zeigten sich zwei rosafarbene Linien.
«Na, das ist wohl eindeutig», murmelte sie. Sie kniff die Augen zusammen, weil jetzt doch die Tränen drohten, sie zu übermannen. Es war völlig unwirklich, es da rosa auf weiß vor sich zu sehen, was sie bisher nur geahnt hatte.
Sie blieb auf dem Klo hocken, starrte das Stäbchen an und schüttelte müde den Kopf. Das ist so ungerecht, dachte sie, und sie überlegte auch, ob es nicht klüger, besser, schlauer wäre, wenn sie nicht in dieser Trennungsphase schwanger sein müsste. Denn sie würde sich von Michael trennen, daran gab es nichts zu rütteln.
Oder nicht?
Die letzte Enttäuschung saß tief wie ein Stachel. Musste sie sich das gefallen lassen? Ja, offensichtlich schon.
Amelie wollte nicht schlecht denken über die Andere, Sabina. Aber Amelie war auch nicht in eine funktionierende Beziehung eingebrochen und hatte den Mann gestohlen.
Oder empfand die Andere das jetzt genauso? Hatte sie sich schon sicher gewähnt, hatte sie schon das Kinderzimmer im Haus eingerichtet?
Sie warf den Schwangerschaftstest in den Mülleimer unter dem Waschbecken und verließ das kleine Bad. Draußen wurde es schon dunkel. Sie hatte wirklich den ganzen Tag verschlafen.
Und eigentlich hatte sie heute noch bis zur Küste fahren wollen, um eine Fähre über Nacht zu nehmen. Es gab welche, die von Immingham nach Hamburg fuhren. Auf den ersten Blick ein Umweg, doch von dort wäre es nicht mehr weit nach Berlin.
Und dann? Sollte sie bei ihrer Mutter unterkriechen?
Sie musste sich eingestehen, dass sie noch nicht so weit gedacht hatte. Außer Diana hatte sie kaum Freundinnen, denen sie zumuten konnte, sie länger als für eine Nacht auszuhalten, und zu ihrer Mutter ins Gästezimmer wollte sie auch nicht. Sie würde den Braten sofort riechen. Amelie konnte sich das lebhaft vorstellen: vorwurfsvolle Blicke, weil sie Michael hatte ziehen lassen. Mitleid, weil sie jetzt auch noch alleinerziehende Mutter wurde. Aufmunternde Worte: «Ich hab das mit dir auch geschafft, und damals war das nicht so leicht, das kannst du mir glauben.» Und so weiter. Das ganze mütterliche Repertoire.
Hoffentlich werde ich nicht auch so, dachte Amelie, aber irgendwie spürte sie schon jetzt, wie sich in ihr dieser Mix aus Genen und Prägung, aus Erziehung und Widerstand formte. Hoffentlich werde ich keine Glucke, keine Rabenmutter. Keine verbitterte Alte, keine, die mit ihrem Kind befreundet sein will.
Was zwei rosa Striche doch bewirken konnten. Sie stand in dem winzigen Durchgang zwischen dem kleinen Zimmerchen und dem hinteren Bereich der Apotheke. Links führte eine Tür ins Labor, geradeaus ging’s in die Offizin, den vorderen Teil der Apotheke. Sie blieb einfach stehen, blickte nach vorne und durch die Fensterscheibe nach draußen.
Dan tauchte mit einem Karton mit Sonnenpflegeprodukten im Arm auf. Bestimmt kein Renner im ewig nebligen, verregneten Wales. Oder gerade doch, denn wenn die Sonne mal schien, hatten ihr die Waliser mit ihrer blassen Haut wohl wenig entgegenzusetzen.
«Ich fahre dann wohl lieber», sagte sie und fingerte eine Fünfpfundnote aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. Ihr Geldbeutel steckte tief unten im Rucksack. «Ich wollte nach Immingham, zur Fähre.»
«Aber nicht heute Nacht. Das sind mindestens 400 Kilometer, und …»
Er sagte es nicht, aber das «in Ihrem Zustand» hing zwischen ihnen.
Noch immer ein ungewohnter Gedanke.
«Ach, das geht schon. Ich hab ja den ganzen Tag geschlafen.»
«Und wenn Sie dort sind? Mitten in der Nacht? Wollen Sie auf dem Parkplatz vor dem Fährhafen übernachten, im Auto?»
«Vielleicht gibt es ein Hotel …» Sie zögerte. Nein, sie hatte das alles überhaupt nicht durchdacht. Aber sie musste ja etwas tun, hierbleiben konnte sie jedenfalls
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