Der vergessene Strand
schönste Ecke von Pembroke.
«Rufst du mich an?», fragte Michael, ehe er einstieg.
«Ja. Lass uns telefonieren.»
Sie blickte ihm nach, als er davonfuhr. Dann schlang sie den Schulterriemen der Reisetasche quer über die Brust und zerrte den Trolley hinter sich her. Bis Pembroke war es ungefähr ein Kilometer, und schon als sie die Tankstelle verließ, bereute sie ihren Entschluss, den ganzen Weg zu laufen.
Aber es tat auch gut, einfach ein bisschen für sich zu sein.
Natürlich war der Skandal nicht zu vermeiden.
Später fragte Anne sich, ob Bee allen Ernstes geglaubt hatte, die Wahrheit geheim halten zu können. Oder ob sie einfach nur verzweifelt gehofft hatte, es werde schon nicht nach außen dringen.
Sie waren erst drei Tage auf dem Landsitz, als es in der Zeitung stand. Nur eine Randnotiz in der Klatschspalte. Aber das genügte vollauf.
Der Kolumnist ließ sich nur andeutungsweise darüber aus, dass der Duke of G- mit der unverheirateten Schwester einer Countess gesehen worden sei – im intimen Gespräch während der Oper. Dem folgte die Frage, was genau die beiden wohl miteinander zu bereden hätten, und dann war die Rede vom Besuch des Dukes im Haus der Countess of H-, deren Mann zu der Zeit nicht daheim gewesen sei.
Man müsse sich fragen, so hieß es, was da vor sich gehe. Ob der Duke nun die eine oder die andere Schwester bevorzuge.
Mehr nicht.
Aber das war zu viel, denn jeder, der diese Zeilen las, wusste Bescheid.
Und der Sturm brach über sie herein.
Zuerst kam ihre Mutter. Sie schrieb nicht, sondern reiste sofort an. Sie traf ausgerechnet in dem Moment ein, als Anne ohnehin nicht wohl war. Schon seit dem Morgen hatte sie auf dem Fauteuil gelegen und sich immer wieder erbrechen müssen. Ein Blick genügte, und ihre Mutter zeterte sofort los. Was Anne einfiele, ihre Zukunft derart vor die Hunde zu werfen.
Als Nächster tauchte Trisk auf und stellte Beatrix zur Rede.
Und dann kamen die Briefe. Neugierige Fragen von Freunden, Schmähungen von Bekannten, Drohungen von Feinden. Eine wahre Flut ergoss sich auf Trisk Manor, Dutzende Briefe, die auf dem Frühstückstisch lagen, teils anonym. Einige von religiösem Eifer durchdrungen, andere von Hass auf ihren Stand. Anne las jeden einzelnen, obwohl Bee sie daran hindern wollte.
«Lass dich nicht von diesen Leuten runterziehen, Bumble», riet sie.
Zuletzt kam er nach Trisk Manor. Statt mit ihr zu reden, zog er sich mit Bees Mann ins Studierzimmer zurück, wo die Männer rauchten, tranken und rau lachten. Anne schlich immer wieder an der verschlossenen Tür vorbei und lauschte. Sie wusste, dort wurde über ihr Schicksal entschieden. Jetzt, da der Skandal ins Rollen gekommen war, durfte sie nicht darauf hoffen, noch eine eigenständige Entscheidung treffen zu dürfen.
Beatrix jedoch hielt sich nicht an Trisks unausgesprochenes Verbot, dass Frauen und Kinder im Studierzimmer nichts zu suchen hatten. Sie brachte ein paar Erfrischungen.
Lässig saß der Duke of G- in einem Clubsessel. Im Kamin flackerte ein munteres Feuer. Trisk stand am Fenster, ein Glas Whiskey in der Hand.
«Ich habe auch was zu sagen», erklärte sie unumwunden.
«Und zwar?» Das kam vom Duke.
«Entscheidet nicht über ihren Kopf hinweg.»
«Das tun wir schon nicht», beschwichtigte Trisk sie. In seinem Blick lag … Zorn.
«Dann denkt bitte auch an das Kind. Und an ihre Zukunft.»
«Wir tun nichts anderes», erklärte der Duke leise. «Zumindest ich für meinen Teil.»
«Ich habe Euch schon erklärt, dass es so nicht geht», wandte sich Trisk jetzt an den Duke. «Ihr könnt meine Schwägerin nicht als Mätresse halten wie ein kleines Dienstmädchen.»
«Und ich habe Euch erklärt, dass sie nicht die Erste wäre, die als Mätresse aufgestiegen ist.»
«Madame Pompadour.» Trisk schnaubte. «Das werde ich nicht zulassen.»
«Abgesehen davon wird Anne das gar nicht wollen», warf Beatrix hitzig ein. Was ihr von beiden Männern scharfe Blicke eintrug. Von Trisk, weil sie endlich den Mund halten sollte. Von G- … als wüsste er es besser.
Beatrix floh.
«Du wirst dich nicht von ihm aushalten lassen!», fauchte sie Anne an, die an der Tür lauschte. «Das lasse ich nicht zu!»
Letztlich entschied die Duchess.
Sie kam als Letzte nach Trisk Manor, nachdem ihr Mann längst abgereist war. Höflich bat sie, mit Lady Beatrix Lambton sprechen zu dürfen, es gebe da eine Angelegenheit, die der Klärung bedürfe.
Das Gespräch dauerte nur zwanzig
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