Der vergessene Strand
bei jedem Kirchenbasar der Renner», fügte Rosalie hinzu.
«Und ihre Waffeln erst!», schwärmte Edith.
«Sie hat der Stadt nach ihrem Tod diese Tagebücher hinterlassen, und seither lagern sie im Archiv. Ich dachte, sie könnten vielleicht von Interesse sein.»
Amelie schaute in die anderen drei Bände, doch sie setzten jeweils noch später ein – 1908 , 1913 , 1915 . «Gibt es noch frühere Aufzeichnungen von ihr?»
Mrs. Elswood zuckte mit den Schultern. «Wenn es sie gibt, haben wir bisher nichts davon erfahren. Vielleicht sind sie auch einfach verlorengegangen.»
«Hm», machte Amelie. Diese Tagebücher waren bestimmt interessant, aber sie bezweifelte, dass Franny acht oder zehn Jahre später noch etwas über ihre Zeit als Anne Lambtons Dienstmädchen geschrieben hatte. Immerhin hatte sie jetzt eine Primärquelle – nur leider keine, die bis in die von ihr erforschte Zeit zurückreichte.
«Nehmen Sie sie erst mal mit, und lesen Sie in aller Ruhe darin. Ich werde mich derweil nach den anderen Tagebüchern erkundigen. Soweit ich weiß, soll es an die fünfzehn gegeben haben. Keine Ahnung, wo die sind, ich werde Cedric noch mal fragen.»
Mehr hatten sie nicht.
Und dafür hatte sich Amelie den ganzen Nachmittag um die Ohren geschlagen. Sie war nicht wirklich enttäuscht, aber sie hatte nach der großen Ankündigung von Mrs. Elswood, sie habe da etwas, das Amelie sich unbedingt anschauen müsste, einfach mehr erwartet. Vielleicht hatte sie sogar gehofft, die Briefe von Anne und Beatrix zu bekommen. Aber da kam sie schon seit Tagen nicht weiter. Jonathan hatte nichts, und Mr. Biggs schien verreist zu sein.
Sie blieb trotzdem noch zwanzig Minuten, plauderte höflich mit den Tremayne-Schwestern und trank noch eine Tasse Tee. Ruthie Fenwick verabschiedete sich früh, und Amelie nutzte die Gelegenheit, sich ebenfalls davonzumachen.
Vor der Tür verabschiedete sich Mrs. Fenwick von ihr. «Ich hoffe, Sie sind nicht zu enttäuscht», sagte sie.
«Warum sollte ich? Immerhin habe ich jetzt die Tagebücher.» Amelie hob das Päckchen, in das Mrs. Elswood die Kladden eingeschlagen hatte.
«Ich meinte nicht Ihr Buchprojekt, sondern Ihre Familiengeschichte. Dass hier keiner darüber reden mag, liegt vielleicht daran, dass … Es hat uns alle damals sehr mitgenommen, das, was passiert ist.»
«Und ich weiß immer noch nicht, was genau damals passiert ist. Aber vielleicht geht es mich ja auch nichts an.» Amelie konnte nicht verhindern, dass sie verbittert klang.
«Natürlich geht es Sie was an, Kindchen! Wir mögen alte Klatschweiber sein, aber wir respektieren, dass es nun mal Dinge gibt, die Sie besser von Ihrem Großvater oder Ihrer Mutter erfahren.»
Sie drückte noch einmal mitfühlend Amelies Arm und entschwebte dann. Das schwere Maiglöckchenparfüm, das Mrs. Fenwick umgab, bereitete Amelie Kopfschmerzen.
Dan war wandern gegangen, und sie hatte seine Wohnung für sich allein. Amelie zog Schuhe und Socken aus. Barfuß trat sie auf den Balkon, setzte sich in einen der Deckchairs und schnürte das Paket mit den Tagebüchern auf.
Sollte sie hier noch etwas über Anne und Beatrix finden, hieß das doch nur, dass ihre Anwesenheit noch lange Zeit nach Annes Weggang aus Pembroke nachgewirkt hatte. Dass sie Eindruck hinterlassen hatten.
Und vielleicht wusste Franny ja auch eine Antwort auf die Frage, die Amelie im Laufe ihrer Recherchen immer wieder beschäftigt hatte. Was war aus Annes kleiner Tochter geworden?
Die Quellen waren in diesem Punkt nicht eindeutig. Sicher war nur, dass Anne ein kleines Mädchen geboren hatte. Es gab eine Geburtsurkunde, aber keine Taufbescheinigung im Register der Kirche von Pembroke. Ebenso fehlten Aufzeichnungen über die Bestattung eines Säuglings im Frühjahr 1897 . Und im Sommer war Anne bereits wieder bei zahlreichen gesellschaftlichen Veranstaltungen gesehen worden – Amelie hatte Zeitungsausschnitte gefunden, in denen unter anderem von Lady Annes Rückkehr in die Gesellschaft nach einem längeren Aufenthalt auf dem Land (wegen Krankheit) berichtet wurde. Man lobte das dunkelblaue Kleid, das sie trug, als sehr modern. Im Herbst 1897 schiffte Anne Lambton sich dann nach Amerika ein, wo sie in Boston Sir Cornelius heiratete, der schon Jahre zuvor um sie gefreit hatte.
«Was hast du mit deiner kleinen Tochter gemacht?», flüsterte Amelie.
Hatte der Kindsvater sich der Sache angenommen? Das erschien Amelie schwer vorstellbar. Sie hatte bisher wenig über ihn
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