Der vergessene Strand
Idee?»
«Wir haben es uns gemeinsam überlegt.» Es war schwierig, würdevoll zu antworten, wenn man eigentlich zugeben müsste, dass es genau so gewesen war. Michael hatte sie auf Knien angefleht, sie müssten doch jetzt Nägel mit Köpfen machen, vielleicht auch, weil er fürchtete, sie würde seinem Gerede von einem Neuanfang nicht glauben, solange er nicht zeigte, wie ernst es ihm war. Die Impulse waren immer von ihm ausgegangen.
«Also war es seine Idee.» Dan lächelte. Er wollte gerade nach der Teekanne greifen, als sie die Hand auf den Henkel legte, und sie berührten einander. Seine Hand auf ihrer. Amelie lachte verlegen, und es klang sehr laut in der Küche.
Aber sie zog die Hand nicht zurück.
Auch nicht, als sein Daumen wieder über ihren Handrücken streichelte. Wie er es zwei Nächte zuvor getan hatte, als sie nebeneinander einschliefen und ihr das Gewittergrollen plötzlich gar nichts mehr ausgemacht hatte.
«Dan, nicht …» Sie wollte die Hand wegziehen, doch er ließ sie nicht los.
«Was denn?», fragte er leise. «Darf ich dich nicht berühren?»
Sie riss sich los. Fast wäre die Teekanne dabei zu Boden gegangen, doch Dan packte beherzt zu. Er sog scharf die Luft ein, weil er sich am Steingut fast die Hand verbrannte. Laut fluchend drehte er den Wasserhahn auf und hielt die Hand unter den kalten Strahl. Über die Schulter sah er sie an, und Amelie schüttelte unmerklich den Kopf.
Nicht. Bitte, bitte tu mir das nicht an.
Sie blieb neben ihm stehen, während er seine Hand kühlte, schenkte Tee in beide Becher und wartete. Dan blickte sie von der Seite an.
«Das war ja klar», sagte er leise.
«Was?», fragte sie verwirrt. Überraschte ihn ihre Reaktion wirklich so sehr? Gehörte er etwa zu den Männern, die sich für schier unwiderstehlich hielten?
«Dass ich mir die Finger an dir verbrenne.»
Sein Lächeln geriet etwas aus der Spur, aber sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Er hatte nur das getan, was sie sich seit zwei Tagen permanent verkniff.
Sie setzten sich zusammen aufs Sofa, und weil die Nachtluft kalt durch die offene Tür hereinströmte, legte Dan eine Decke über ihre Knie. Amelie rückte etwas näher, dicht vor «zu nah», aber immer noch auf Abstand bedacht. Was tat sie hier? Sie war völlig übermüdet, und das hatte bei ihr ungefähr die gleiche Wirkung wie zu viel Alkohol. Sie fühlte sich leicht im Kopf, fast war ihr etwas schwindelig.
Und Dan schwieg. Anfangs hatte er sie mit seiner heiteren Art immer wieder in ein Gespräch verwickelt, und wenn sie schwiegen, fühlte es sich gut an.
Jetzt lag etwas Gezwungenes zwischen ihnen, und sie zitterte vermutlich nicht nur vor Kälte, sondern auch, weil sie in diese unmögliche Situation geraten war, bei der sie fast vergaß, wohin sie gehörte.
Zu Michael, natürlich.
Schließlich sprach Dan als Erster. «Ich hab gedacht, so was passiert mir nicht. Dass ich …»
Wieder war er still.
«Was?», fragte sie sanft.
Er schaute sie an. Sie spürte, wie er seinen Mut zusammennahm. «Dass ich so empfinde. Und nichts dagegen tun kann.»
Sie senkte den Blick. «Es ist nicht so einfach», stammelte sie.
«Ich weiß.» Er seufzte. «Du und er …»
«Nein!», unterbrach sie ihn hastig. Ihre Hand suchte seine. Drückte sie, ganz fest. Hör mir zu, wollte sie sagen, doch sie schaute ihn nur an und ertrank fast in seinen Augen. Schließlich sagte sie stockend: «Mit ihm und mir ist es nicht einfach. Er … Wir …»
«Du hast ganz zu Anfang gesagt, es gebe eine … Geliebte.»
Mätresse, so hatte sie das formuliert. «Ja», hauchte sie.
«Ist das vorbei?»
«Er hat die Sache beendet. Nur ist das nicht ohne Folgen geblieben. Das habe ich erst vor zwei Wochen erfahren.» Ihre Hand strich über den eigenen Bauch, als wollte sie den Worten die richtige Bedeutung geben. Dans Augen wurden groß. Ungläubig.
«Ja, er bekommt den doppelten Segen. Er hat sich immer Kinder gewünscht, aber man muss wohl wirklich aufpassen, was genau man sich wünscht.»
«Und was hast
du
dir gewünscht?»
Darüber musste Amelie lange nachdenken. Wenn man immer bekam, was man sich von Herzen wünschte, was genau an dieser Situation hatte sie ersehnt?
«Ich habe meine Mutter immer bewundert, die mich allein großgezogen hat. Aber ich habe wohl unbewusst immer den Vater vermisst, das merke ich jetzt erst so richtig, da ich auf meine Vergangenheit gestoßen bin. Ich glaube, ich wollte eine Familie, die funktioniert. Keine, in der der Vater
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