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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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knisterte und sprühte Funken, die wirbelnd im Kamin aufstoben.
    «Hat er etwas gefunden?»
    «Er hat festgestellt, dass die Insel ihrem Namen alle Ehre macht.» Sourcelles steckte sich eine neue Zigarette an und schob sie in die Spitze. «Es wimmelte dort von Schlangen. Außerdem gab es auch viele Vögel. Er konnte nicht mehr als zwei Schritte weit gehen, ohne auf das eine oder andere Tier zu treten. Haben Sie den Bericht bei Arrianos gelesen?», fragte er plötzlich, wieder an Marina gerichtet. Sie nickte langsam. «Er schreibt, die Weiße Insel war voller Seevögel. Jeden Morgen tauchten sie ins Wasser hinab und nässten ihre Flügel in den Wellen, und dann flogen sie hinauf und verspritzten das Wasser über dem Tempel. Anschließend landeten sie und wischten mit ihren Flügeln den Hof des Tempels sauber.»
    Jackson rutschte unruhig in seinem Sessel herum. «Können wir die Märchen vielleicht überspringen? Wir haben keine Zeit – nicht wenn Onkel Josef dieses Ding wirklich in seinem verdammten Hinterhof hat. Hat dieser Krisski oder Russki oder wie zum Teufel er hieß, irgendwas Wichtiges gefunden?»
    Sourcelles bedachte ihn mit einem Blick, wie ihn nur ein Franzose gegenüber einem Amerikaner zustande brachte. Dann wandte er sich demonstrativ an die Übrigen. «Er hat einen antiken Tempel gefunden.»
    Niemand wusste etwas darauf zu sagen. Sie alle starrten Sourcelles an, wie betäubt vor Hoffnung, vor Gier, vor Angst, was er wohl als Nächstes sagen würde.
    «Hat er sonst noch etwas entdeckt? Etwas, nun ja … Wertvolles?»
    Sourcelles’ Augen wurden schmal, und er musterte Jackson mit durchdringendem Blick. «Eine seltsame Frage. Ich wüsste gern eines, Mr.   Jackson. Ich habe Ihre ermüdenden Fragen so gut wie möglich beantwortet; ich habe Sie in meinem Haus empfangen, obwohl Sie mir nichts als Gefahr bringen. Aber nun frage ich mich, warum interessieren Sie sich eigentlich so sehr für die Weiße Insel? Sind Sie Archäologe? Was führt fünf so unterschiedliche und – entschuldigen Sie – sonderbare Menschen in diesen gefährlichen Zeiten hierher zu mir? Sind Sie ehrlich zu mir gewesen? Ich denke nicht.» Er schaute sich im Raum um: Muir hatte eine trotzige Miene aufgesetzt, Jackson war unverhohlen wütend, Reed starrte auf seine Schuhe. Keiner sah ihm in die Augen.
    «Der Legende zufolge befand sich auf der Insel ein riesiger Schatz.» Marina sprach mit ruhiger Stimme, doch ihre Worte erfüllten den Raum mit einer elektrisierenden Spannung. Muir gab einen erstickten, gurgelnden Laut von sich, als hätte er eine Art Anfall. Jacksons Hand glitt unter sein Jackett, in Richtung des Colts unter seinem Arm; Grant griff für alle Fälle nach dem Webley. Nur Reed und Sourcelles blieben reglos sitzen und schienen all das nicht wahrzunehmen. Sourcelles forderte Marina mit einer Handbewegung auf fortzufahren.
    «Laut Arrianos zog der Tempel reichliche Opfergaben von Seeleuten an, die dort landeten. Er beschreibt Berge silberner Schalen und goldener Ringe und Anhäufungen kostbarer Steine. Einen gewaltigen Schatz.»
    Muirs Herz begann wieder zu schlagen; Jacksons Hand kam wieder zum Vorschein. Grant jedoch hielt die Finger am Griff des Webley.
    «Dem Bericht zufolge opferten sie auch viele Ziegen.» Sourcelles und Marina tauschten ein verschwörerisches Lächeln aus, das Grant nicht behagte. «Aber nein, soweit mir bekannt ist, fand Kapitän Kritskij nichts als Steine. Keinen Schatz. Vielleicht lag er tief in den Eingeweiden der Insel verborgen. Aber wahrscheinlicher ist, dass er bereits vor langer Zeit geplündert wurde. Das Schwarze Meer war immer schon ein Tummelplatz von Piraten und Dieben.» Er neigte mit einem frostigen Lächeln den Kopf in Richtung seiner Besucher. «Wenn Sie dorthin fahren, seien Sie auf der Hut. Nicht ohne Grund fürchteten die alten Griechen das Schwarze Meer als einen Ort jenseits der Grenzen der Welt, eine Zwischenregion, von Wilden bevölkert. Kriegerische Amazonen, menschenfressende Laistrygonen, Sirenen und Schlangen.
    Sie sollten sich vom harmlosen Namen der Weißen Insel nicht trügen lassen. Das Christentum hat uns weisgemacht, das Jenseits sei ein glückseliger Ort mit Harfen und Chören und sanften Wolken. Die Griechen wussten es besser. Selbst für Heroen war es ein Reich des Zornes und der Qualen. Es gibt bei Philostratos eine Geschichte über die Weiße Insel, in der der Geist des Achilles einem durchreisenden Händler aufträgt, ihm ein bestimmtes Sklavenmädchen aus

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