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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Stolpernd, das Funkgerät noch immer an sich gedrückt, duckte er sich unter Grants ausgestrecktem Arm hindurch und fiel auf die Knie.
    «Passen Sie auf, dass Sie das Ding nicht kaputt machen», sagte Grant. Er schoss noch einmal, dann schlug er die Tür zu. «Sagen Sie Ihren Leuten im Hauptquartier, sie sollen ein Flugzeug zu der Landebahn schicken, wir treffen uns dort. Anschließend suchen Sie einen Hinterausgang und verschwinden von hier.» Er sah sich nach Marina um. «Du kommst mit mir.»
    «Und wohin gehen Sie?» Muir war sichtlich wütend darüber, dass Grant so einfach das Kommando ergriff.
    «Wir suchen die Tontafel.»
    Grant und Marina ließen die anderen in der Eingangshalle zurück und rannten die geschwungene Treppe hinauf. Als sie den Absatz in der ersten Etage hinter sich ließen, verklangen die Geräusche aus dem Erdgeschoss. In der nächsten Etage endete die Treppe auf einer breiten Galerie, die sich nach beiden Seiten erstreckte. In der Mitte befand sich ein rundes Fenster, von dem man Ausblick auf die Gärten und die Auffahrt hatte. Grant warf einen prüfenden Blick hinaus. Es regnete unvermindert heftig, das Gelände lag wie unter einem Schleier in tristen Grün- und Grautönen, aber er glaubte eine Gruppe Männer ausmachen zu können, die sich im Schutz der Stützmauer unterhalb der Auffahrt zusammendrängten. Im nächsten Moment sah Grant einen Lichtblitz, der nichts mit dem Gewitter zu tun hatte, und hörte einen Knall, der kein Donner war. Er beschloss, keinen Schuss zu riskieren. Die Entfernung war zu groß für den Webley, und er wollte nicht seine Position verraten.
    «Was hat Sourcelles gesagt, wo die Tafel ist?», fragte Marina.
    Grant wandte sich vom Fenster ab. «Im Ostflügel.» Er überlegte kurz, dann deutete er nach rechts. «Da entlang. Und dann …» Da war doch noch was. «Ich glaube, er hat etwas von der Gorgo gesagt. Kannst du damit was anfangen?»
    «Die Gorgo war ein Ungeheuer, eine Frau mit Schlangen anstelle von Haaren, mit Reißzähnen und Klauenhänden.»
    «Klingt nach einem ziemlich hässlichen Weib.»
    «Sie ist eine Manifestation von allem, was Männer an der weiblichen Sexualität fürchten. Ein Blick von ihr konnte dich in Stein verwandeln», sagte Marina mit einem Blick, der dieser Wirkung ziemlich nahe kam.
    Sie folgten dem Gang und öffneten nacheinander die Türen, die davon abgingen. Dieser Teil des Hauses wurde anscheinend nicht viel benutzt – Schlafzimmer mit unbezogenen Betten, Bäder mit verstaubten Wannen –, doch auch hier war ein wahrer Schatz von Artefakten ausgestellt. Allerdings weniger Skulpturen als getöpferte Stücke: Vasen, Amphoren, Krüge und Schalen in einer schwindelerregenden Formenvielfalt. Auf den gewölbten Seiten fochten Helden in schwarzer Glasur ihre Schattenkämpfe und Miniaturschlachten aus. Außerdem hingen auch hier Gemälde an den Wänden: hochformatige Porträts in schweren Goldrahmen. Grant ließ suchend den Blick darübergleiten, aber keine der Frauen, die er sah, entsprach der Beschreibung der Gorgo. Sie ruhten in wallenden, durchsichtigen Gewändern, anscheinend unbekümmert um ihre Nacktheit, und sahen zu, während tapfere Helden in Schlachten kämpften. Einer der Männer ritt auf einem geflügelten Pferd und rammte gerade seine Lanze in ein Wesen, das wie eine monströse Kreuzung aus einem Löwen, einer Ziege und einem Drachen aussah.
    Grant rief nach Marina. «Ist sie das?»
    «Das ist die Chimäre. Im Mythos waren die Gorgonen ihre Tanten.»
    «Die Familienähnlichkeit ist unverkennbar. Hast du inzwischen was gefunden?»
    «Nein.»
    Sie hatten jetzt das Ende des Gangs erreicht. Die Wand vor ihnen war fast vollständig von einem überlebensgroßen Gemälde bedeckt, doch die Frau, die es darstellte, war alles andere als ein Monster. Ihre Haut war schneeweiß, die Augen blau und durchdringend. Sie trug einen hohen, spitzen Helm und einen silbernen Schuppenpanzer vor der Brust. In den Händen hielt sie eine Lanze und einen kunstvoll verzierten Schild. Grant nahm an, es müsse sich um Britannia handeln, auch wenn er sich nicht erklären konnte, weshalb der Franzose sich ein Bild von ihr ins Haus geholt hatte.
    «Vielleicht ist es eine Abbildung auf einem der Krüge», sagte Marina. «Ich habe sie nicht alle untersucht. Vielleicht …»
    Laute Stimmen im Treppenhaus ließen sie verstummen. Im nächsten Moment polterten Schritte auf den Stufen. Grant fuhr herum.
    «Sieh dir mal dieses Gemälde an», forderte Marina ihn

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