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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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das Haar frisch gebürstet. Sie stellte die Getränke auf der Spitzentischdecke ab und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. Grant nahm vorsichtig einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Das Gebräu war dickflüssig wie Teer.
    «Schmeckt dir der griechische Kaffee nicht mehr?»
    «Wollte bloß prüfen, ob er Strychnin enthält.»
    Das brachte Marina trotz allem zum Lachen. «Wenn ich dich umbringe, dann mit meinen eigenen Händen, das verspreche ich dir.»
    «Dann wäre das ja geklärt.» Grant setzte das Tässchen an die Lippen und leerte es mit einem Zug. Er sah zu, wie sie ihren Kaffee trank. Siebenundzwanzig musste sie jetzt sein, überlegte er – magerer als an dem Tag, als er in ihr Haus gehumpelt kam, doch immer noch von derselben wilden, unberechenbaren Schönheit. Schon damals hatten sie und ihr Bruder sich einen Namen in der Andartiko gemacht, dem griechischen Widerstand. Dank der Unterstützung durch Grant, der sie mit Material versorgte, entwickelten sie sich in den Monaten darauf zu überaus ernst zu nehmenden Widersachern der Deutschen. Und daneben war aus Grant und Marina ein Liebespaar geworden. Es war eine heimliche Affäre gewesen, verborgen gehalten vor Deutschen wie auch Griechen; kurze Momente des Glücks in Schäferhütten und hinter Bruchsteinmauern, gewöhnlich in der Hitze des Tages, denn abends brachen sie zu ihren Missionen auf. Nur zu gut erinnerte sich Grant, wie der Schweiß an ihrem Hals geschmeckt hatte; erinnerte sich an das Rascheln von Myrte und Oleander; an ihr Stöhnen und daran, wie er sie mit Küssen zum Schweigen zu bringen versuchte. Die Zeiten waren brutal und erbarmungslos gewesen, doch das hatte den Sex nur noch dringlicher gemacht, lebendiger. Bis all das an jenem blendend sonnigen Tag im April ein Ende fand, in einer Schlucht in den Weißen Bergen, wo sich der Geruch von Kordit in den Rosmarinduft mischte.
    Grant merkte, dass sie ihn anschaute, und trank hastig einen Schluck Wasser.
    «Du bist also hergekommen, um mich zu warnen. Weswegen – wegen Pembertons Notizbuch?»
    Inzwischen hatte sie ihre Gefühle im Griff und war ruhiger, sprach mit kurz angebundener Höflichkeit. Doch ihre Wangen waren noch immer gerötet.
    «Das ist …» Er zauderte. «Das ist eine lange Geschichte.»
    «Dann erzähl sie mir von Anfang an.» Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Erzähl mir, was du erlebt hast, seit du Kreta verlassen hast.»
    «Ich bin nach England zurückgekehrt.» Schon diese schlichte Feststellung barg eine Fülle von Geschichten: seine Landung per Motorschlauchboot an der Küste bei Dover, im Schutz der Dunkelheit; ein schäbiges Zimmer über einem Café in der Old Compton Street; besorgte Blicke durch die Gardinen, sobald ein Bobby die Straße entlangkam; mitternächtliche Treffen in den Ruinen ausgebombter Häuser. «Dann war ich eines Tages auf der Baker Street unterwegs, und ein Mann ist mit mir zusammengerempelt. Buchstäblich – es war mehr wie ein Tackle beim Rugby. Der Mann war schrecklich verlegen, hat sich vielmals entschuldigt, wollte mir unbedingt eine Tasse Tee ausgeben. Ihm lag so viel daran, dass ich ja sagte.»
    «Er war ein Spion?»
    «Ich glaube, er arbeitete bei Marks & Spencer. Einem Bekleidungsgeschäft», setzte Grant hinzu, als er ihren verständnislosen Blick bemerkte. «Und er war Jude. Er erzählte mir von ein paar Freunden, die unsere Regierung dazu zu bewegen versuchten, Palästina den Hebräern zu überlassen. Weiß der Himmel, wie sie mich ausfindig gemacht hatten, aber man hatte die Vermutung, ich könnte ihnen behilflich sein, an Waffen zu kommen.»
    «Und?»
    «Ihre Vermutung war richtig. Während des Kriegs hatten wir überall im Mittelmeerraum Waffenlager angelegt, und man konnte davon ausgehen, dass einige davon unberührt geblieben waren. Man händigte mir eine Summe Bargeld aus, ich kaufte ein Boot, und damit waren wir im Geschäft. Du weißt, wie das läuft. Man fängt eine Sache an, es spricht sich herum, und bald klopfen andere Leute bei einem an die Tür, die dasselbe wollen. Einen Krieg haben wir beendet, aber ein anderer fängt bereits wieder an. Nur sind jetzt die Amateure auf den Geschmack gekommen und wollen mit den Profis gleichziehen, und sie sind bereit, dafür viel Geld auszugeben.»
    «Du beschaffst ihnen also die Waffen, mit denen sie sich gegenseitig umbringen.»
    Grant zuckte die Achseln. «Umbringen würden sie sich auch so. Ich bin bloß dabei behilflich, die Verhältnisse

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