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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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entziffern?»

    Sie kehrten mit dem Buch nach oben ins Haus zurück und legten es auf den Tisch. Grant wollte bei den letzten Einträgen anfangen, aus der Überlegung heraus, dass Pemberton die kostbare Entdeckung kurz vor seinem Tod gemacht haben musste. Aber Marina bestand darauf, das Buch auf der ersten Seite aufzuschlagen und Seite für Seite zu lesen, wobei sie die Worte leise vor sich hin murmelte. Grant zündete sich eine Zigarette an. In der Ferne bimmelten ein paar Ziegenglocken, und der Wind fuhr raschelnd durch die Blätter des Aprikosenbaums. Unten im Dorf schlossen die Einwohner vermutlich gerade ihre Fensterläden, um ihre Nachmittagssiesta zu halten. Ansonsten war im Zimmer nur das gelegentliche Knacken des brennenden Holzscheits zu hören, und das Geräusch von Seiten, die umgeblättert wurden.
    Grant starrte aus dem Fenster. Ganz links, wo die Straße zur Küste sich das Tal hinabschlängelte, kam ein Auto langsam den Berg herauf. Es verschwand hinter einer Biegung, tauchte wieder auf und verschwand erneut, blitzte in der Sonne auf wie ein Spiegel. Grant spürte ein vertrautes Kribbeln im Bauch.
    «Wie lange brauchst du noch?», fragte er betont beiläufig.
    «Noch ewig, wenn du mich laufend unterbrichst.» Marina hatte vor Konzentration das Gesicht verzogen. «Hier steht viel in Linear B, die ich nicht verstehe. Ich glaube, Pemberton hat versucht, sie zu entschlüsseln.»
    Was genau Linear B sein mochte, wusste Grant nicht, doch das war ihm im Moment auch nicht so wichtig. Das Auto war jetzt in den verwinkelten Straßen des Dorfs verschwunden. Vielleicht war das nur irgendeine Lokalgröße, die ihren Reichtum zur Schau stellte, oder ein Offizieller aus Heraklion, der Eindruck bei der Bevölkerung schinden wollte.
    «Kommen hier viele Autos in die Gegend?»
    «Yorgos weiter oben im Tal hat einen Ford.»
    Ein paar hundert Meter weit weg schob sich eine schwarze Kühlerhaube durch die enge Gasse, hinaus auf den Feldweg zwischen den Apfelbäumen.
    Grant berührte den Webley, der in seinem Hosenbund steckte. «Sind da noch Patronen in der Munitionskiste?»
    «Nein, nur das Buch. Die Patronen habe ich auf die Deutschen verschossen.» Eher neugierig als verärgert hob sie den Blick. «Warum?»
    Das Auto hielt draußen vor dem Gartentor an. Der Motor tuckerte noch kurz und verstummte dann plötzlich. Zwei Männer in Mänteln und mit dunklen Hüten stiegen aus; einer ging herum zum Kofferraum und holte ein langgezogenes braunes Packpapierpaket heraus.
    «Weil wir Besuch haben.»

    Grant zwängte sich durch das kleine Fenster an der Rückseite des Hauses und ließ sich auf den Boden fallen. Um die Ecke war das metallische Klicken genagelter Stiefel zu hören, die zügig den gepflasterten Weg zur Haustür heraufkamen. Wer diese Leute auch sein mochten, ihr Kommen jedenfalls kündigten sie lautstark an. Grant war sich nicht ganz schlüssig, ob er dies für ein gutes oder ein schlechtes Zeichen halten sollte.
    An der Tür machten die Schritte halt, und eine Faust schlug dagegen – der unbeholfene Versuch eines Grobians, halbwegs zivilisiert zu wirken, dachte Grant. Ein weiterer Schlag gegen die Tür, gefolgt von ungeduldigem Scharren der Stiefel.
    «Vielleicht ist es nur ein Versicherungsvertreter», flüsterte Grant.
    Ein lautes Krachen hallte durch den Garten, Holz splitterte, ein Knall, und die Tür flog auf. Gleich darauf war das Poltern von Möbeln zu hören, die umgeworfen wurden, dann wurden Schubladen lautstark auf den Boden ausgekippt. Marina, die neben Grant stand, verzog vor Zorn das Gesicht. Er packte sie am Arm, grub ihr die Nägel ins Handgelenk.
    «Gibt es ein Fenster auf der anderen Hausseite?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Gut. Dann nichts wie weg hier.»
    Im Schutz des Hauses rannten sie über das steinige Gelände, sprangen über eine niedrige Bruchsteinmauer und schlitterten in eine flache Rinne an der Bergseite. Loses Geröll und Kiesel knirschten unter ihren Schuhen, aber die Männer, die gerade dabei waren, im Haus alles auf den Kopf zu stellen, veranstalteten einen solchen Lärm, dass sie wohl keine Geräusche von draußen wahrnahmen. Grant konnte zorniges Geschrei aus dem Haus hören, durch die Mauern allerdings so gedämpft, dass er die Sprache nicht identifizieren konnte. War das Englisch?
    Vorsichtig arbeiteten sie sich den Hang hinauf, immer im Schutz größerer Felsbrocken. Als sie Grants Einschätzung nach weit genug gekommen waren, gab er Marina Zeichen, haltzumachen. Die

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