Der vergessene Tempel
Nun fing Grant langsam an, sich Sorgen zu machen. Die drei Männer beratschlagten kurz, während Grant den Abzugsbügel des Webley so fest gedrückt hielt, dass er schon fürchtete, ihn zu zerbrechen.
Die Schritte setzten sich wieder in Bewegung den Pfad hoch. Gleich darauf sah Grant, wie die Männer sich durch das kniehohe Gestrüpp den Hang hoch bewegten. Ihm sank der Mut, als er sie durchzählte – fünf –, alle mit Waffen in den Händen. Er wagte sich nicht zu rühren. Wenn sie sich jetzt umschauten, würden sie ihn sicherlich entdecken.
Sie schauten sich nicht um. Grant wartete, bis sie den Bergkamm erreicht hatten, schlich sich dann zum Pfad zurück und folgte ihnen. Ihm war klar, dass er sich einen Plan überlegen musste, doch zunächst war er ausreichend damit beschäftigt, auf dem steinigen Pfad kein Geräusch zu verursachen. Davon abgesehen, ging ihm bloß eine einfache Gleichung durch den Kopf: fünf Männer, sechs Kugeln. Muir war bewaffnet, da war er sich ziemlich sicher, doch ob er ihn noch rechtzeitig warnen konnte … Selbst dann standen ihre Chancen nicht sonderlich gut.
Grant erreichte den Bergkamm. Vor ihm lag ein Stück ebenes Gelände, das dann zur Terrasse des Heiligtums hin abfiel. In der hinteren Ecke konnte er gerade noch das schwache Glimmen der Glut und die dunklen Umrisse der um das Feuer herum ausgebreiteten Decken erkennen. Muir und Reed schliefen vermutlich tief und fest, ohne etwas von der Gefahr zu ahnen, in der sie schwebten. Zwei der Russen waren bereits auf der Terrasse und schlichen auf sie zu. Grant blickte suchend umher. Wo steckten die übrigen Kerle? Vor der Felswand über der Terrasse bewegte sich ein Schatten, gerade sichtbar vor dem zerklüfteten Grund dahinter. Drei . Am Fuß des Abhangs wurde gehustet, und Grant sah das Schimmern von Mondlicht auf Stahl. Vier . Blieb noch einer, unmöglich zu sagen, wo er steckte.
Er durfte keine Zeit verlieren. Die beiden Männer auf der Terrasse waren fast bei den Decken angekommen. Einer blieb etwas zurück, während der andere sich zielstrebig auf Reed zubewegte. Die wissen genau, wonach sie suchen , dachte er und spähte erneut um sich. Wo steckte bloß der Fünfte?
Niemals einen Kampf beginnen, wenn man nicht weiß, wo sich der Feind befindet . Diese Lektion hatte er längst verinnerlicht, bevor man sie ihm beim SOE beibrachte. Dort aber hatte man ihm auch eingeschärft: Niemals zögern . Der Russe war inzwischen fast neben Reed angekommen. Es gab nur eine Möglichkeit, ihn zu warnen. Grant kniff ein Auge zu, zielte mit dem Webley auf den Russen in seiner Nähe und drückte ab.
Nach zweitausend Jahren erfüllten wieder Rauch, Feuer und Metall das Heiligtum der Kabiren. Grant sah, wie sein Zielobjekt zu Boden sackte, getroffen mitten zwischen den Schulterblättern. Das Überraschungsmoment erlaubte ihm seiner Einschätzung nach einen weiteren Schuss, deshalb wandte er sich nach links, fasste den Mann am Berghang ins Auge und feuerte erneut. Dann hechtete er nach rechts und ließ sich den Abhang hinunterrollen, während eine Kugel die Erde an der Stelle hochpeitschte, an der er gerade noch gestanden hatte. Die waren schnell – schneller, als er erwartet hatte. Er wirbelte herum. Der erste Mann, den er angeschossen hatte, lag weiterhin am Boden, womöglich für immer; der zweite, am Hang über ihm, war nirgends zu sehen. Am hinteren Ende des Heiligtums entdeckte er drei kämpfende Gestalten. Offensichtlich waren Reed und Muir durch die Schüsse geweckt worden. Das ist gut , dachte er. Die Russen konnten schlecht schießen, solange einer ihrer Männer mit ihren Zielen rangelte. Obwohl das bedeutete, dass ihnen so nur noch ein Ziel …
Eine Salve von Schüssen unterbrach den Gedanken, ehe er ihn beenden konnte – dichter diesmal. Aber in der Dunkelheit konnten sie nicht schießen, ohne ihre Position zu verraten. Grant ortete die Mündungsfeuer – eins am Berg, das andere am Rand des Innenhofs. Er zielte auf das ihm nähere und schoss. Ein Aufheulen verriet ihm, dass er gut gezielt hatte – allerdings nicht gut genug, wenn der Kerl noch vor Schmerz brüllen konnte. Und jetzt waren seine Gegner am Zug. Grant zögerte nicht lange; er hechtete Hals über Kopf den Hang hinunter, rollte die letzten paar Meter und landete hinter einem großen Block aus behauenem Stein. Hatten sie ihn aus den Augen verloren? Offenbar nicht, wie weitere Schüsse und von oben herabregnende Steinsplitter bewiesen, aber wenigstens befand er sich
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