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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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überfüllten Güterzug gesehen, der Richtung Osten rollte, nach Sibirien.»
    «Meinen Sie, er hat den Russen von den Tafeln erzählt?»
    «Falls die ihn gezielt danach gefragt haben. Wenn ich an die Ereignisse der letzten Zeit denke, würde ich sagen, man hat ihn vermutlich gefragt. Weshalb ich Ihnen sehr verbunden wäre, wenn Sie aufhören könnten, hier mit Dichtung herumzutändeln, und sich darauf konzentrieren würden, diese verfluchte Tafel zu übersetzen.»
    Er funkelte Reed verärgert an – allerdings vergebens. Das gesamte Gespräch über hatte Reed wie hypnotisiert auf das Blatt vor sich gestarrt. Jetzt hob er den Blick, blinzelte zweimal und lächelte verwirrt in die Runde. «Entschuldigung?» Er sah Muir abwartend an, in der irrigen Annahme, dieser hätte eine Frage gestellt. «Ich habe mich bloß gerade gefragt, ob in dieser Bibliothek auch eine Chrestomathie vorhanden ist.»

    Grant starrte das Gewehr an. Ein Auge blinzelte zurück, das dazugehörige Gesicht verschwand fast völlig hinter einem dichten schwarzen Bart. Mit seiner flachen Schirmmütze, der dicken Leinenhose und der wollenen Weste erinnerte der Unbekannte Grant stark an die Wildhüter, die in seiner Kindheit in den zum benachbarten Landgut gehörenden Wäldern patrouillierten. Auch jetzt war er, wieder einmal, beim Wildern erwischt worden.
    «Pios einai?», knurrte der Mann. Dann setzte er in Deutsch mit starkem Akzent hinzu, «Wer sind Sie?»
    «Ich heiße Grant.» Mit einem freundlichen Lächeln steckte er den Webley sehr gemächlich zurück ins Halfter. Das Gewehr folgte jeder seiner Bewegungen. Auf Griechisch sagte er: «Wir suchen nach den …» Er hielt inne. Wonach suchten sie eigentlich? Ein Blick auf den Bewaffneten verriet ihm, dass jede kurze Verzögerung diesen nur noch nervöser machte. «… den Ausgrabungen.»
    In den Bäumen raschelte es. Grant erstarrte – wie viele waren da noch? Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich Jacksons Hand langsam seiner Hosentasche näherte. Dem Griechen aber war das ebenfalls nicht entgangen. Das Gewehr schwang herum, der Finger spannte sich fester um den Abzug. Sofort ließ Jackson die Hand wieder nach unten fallen.
    Die Geräusche im Wäldchen wurden lauter. Irgendetwas bewegte sich da hinter den Büschen. Grant hielt den Atem an.
    Schnüffelnd und grunzend schob sich ein riesiges Schwein durchs Buschwerk, trabte den Abhang hinunter und fing an, am Fuße eines der Erdhügel herumzuwühlen. Grant und Jackson rissen vor Staunen die Augen auf.
    «Eumaios», sagte der Grieche, auf das Schwein deutend. «Ich bringe ihn her, um hier Eicheln zu fressen.»
    «Was sagt er?», fragte Jackson ungeduldig. Sein Arm wirkte angespannt, als würde eine unsichtbare Feder seine Hand auf seine Waffe zu ziehen.
    «Er weidet hier bloß sein Schwein. Seine Schweine», berichtigte Grant sich, als vier weitere Borstentiere aus dem Wald getrottet kamen und anfingen, die Erdhügel nach Leckereien zu durchstöbern. Er lächelte dem Schweinehirten zu. «Kali choiri.»
    «Was haben Sie gesagt?»
    «Dass er schöne Schweine hat.»
    Der Grieche ließ sein Gewehr sinken. «Kali», stimmte er ihm zu. «Die Eicheln verleihen dem Fleisch ein sehr feines Aroma.»
    «Jemand anders war schon mal hier, um auf dieser Insel zu graben. Ein Deutscher.» Grant sah ihm direkt in die Augen. «War das hier?»
    Der Schweinehirt musterte ihn argwöhnisch. «Sind Sie Deutscher?»
    «Nein, Engländer.»
    «Ela.» Er lehnte das Gewehr an einen Baum und griff in den Leinenbeutel, den er um die Schulter geschlungen trug. Zum Vorschein brachte er einen Laib Brot und ein in Stoff eingeschlagenes Stück Käse. Er riss ein Stück Brot ab und bot es Grant an.
    « Epharisto . Danke sehr.» Grant nahm die Feldflasche, die er am Gürtel trug, und bot dem Mann zu trinken an. Zu dritt ließen sie sich im Gras nieder und sahen zu, wie die Schweine sich zwischen den aufgehäuften Erdhügeln gütlich taten.
    «Der Deutsche …»
    «Belzig. Sein Name war Belzig.»
    Grants Puls beschleunigte sich. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. «Kannten Sie ihn?»
    Wieder ein argwöhnischer Blick. «Kannten Sie ihn?»
    «Nein.» Grant überlegte kurz und entschied sich dann, aufs Ganze zu gehen. «Aber wir haben etwas, das mal ihm gehört hat. Etwas, das er hier gefunden hat.»
    Der Schweinehirt klaubte eine Eichel vom Boden auf und warf sie einem Schwein ganz in der Nähe zu. «Schauen Sie sich um», sagte er und deutete mit dem Arm in der Lichtung herum.

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