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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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höher sie kamen, desto wuchtiger wirkten die Wolken am Himmel. Eine massive Decke lastete über den Hängen, von denen dunkle, dürre Pinien aufragten. Die Straße wurde immer schlechter, bis sie kaum mehr als ein Waldweg war. Kirby wirkte inzwischen erschöpft von der strapaziösen Fahrt. Das Lenkrad krampfhaft umklammert, quälte er den Wagen über endlose Serpentinen und durch Spurrinnen, umkurvte Felsbrocken und umgestürzte Bäume, die ihnen den Weg versperrten. Die Übrigen hielten sich, so gut es ging, fest und bissen die Zähne zusammen, während Grant den undurchdringlichen Wald im Blick behielt, die Sten fest im Griff.
    Sie kamen an einem Dorf vorbei, einem ärmlichen, halbverfallenen Ort, der verlassen schien bis auf die Schatten, die sich drinnen hinter den leeren Fenstern und geborstenen Türrahmen regten und das vorbeifahrende Auto verstohlen beobachteten. Jackson, der eingezwängt zwischen Grant und Kirby auf dem Vordersitz saß, schob mühsam die Hand unter seine Jacke und tastete nach dem Colt, den er im Achselhalfter trug.
    Als sie um eine Biegung am Berghang fuhren, sahen sie endlich das Haus. Es war kaum zu verfehlen – ein gewaltiges Stück aus dem Hang war abgetragen worden, und der Boden war über die gesamte Breite der Bergwand zu zwei weitläufigen Terrassen geebnet. Auf der unteren Ebene erstreckten sich Gärten; darüber, von einer riesigen Mauer gestützt, thronte ein herrschaftliches Haus, das jedem Anwesen im Loire-Tal Ehre gemacht hätte. Alles daran – von den Bleischindeln des niedrigen Steildaches über die weißen Kalksteinmauern bis hin zu den Buchsbaumhecken und Schotterwegen, die es umgaben – hätte original aus Frankreich importiert sein können. Und vielleicht war es das tatsächlich.
    Die Straße endete vor einem schmiedeeisernen Tor. Von den Pfeilern zu beiden Seiten blickten marmorne Löwen herab, erhaben und verachtungsvoll. Grant sprang aus dem Wagen und versuchte das Tor zu öffnen. Es war verschlossen, doch in einen der Pfeiler war ein Klingelknopf aus geschwärztem Messing eingelassen. Grant drückte darauf und wartete.
    Kirby steckte den Kopf aus dem Seitenfenster. «Keiner zu Hause?» Seine Stimme klang dünn und schwach angesichts des düsteren Bergmassivs; die Wolken und die Pinien schienen sie zu verschlucken.
    «Sie sagten doch, dass er sehr zurückgezogen lebt. Vielleicht …»
    Grant brach ab, drehte sich um und blickte die Schotterzufahrt hinunter. Er erstarrte.
    Eine steife Gestalt in schwarzem Regenmantel und Filzhut kam auf sie zu. Die raschen Schritte knirschten auf dem Weg. Der Mann hielt einen schwarzen Regenschirm in der linken Hand hoch, in der rechten klimperte ein Schlüsselbund. Er hatte etwas von einem Bankangestellten oder einem Stationsvorsteher an sich. Einen Meter vor dem Tor blieb er abrupt stehen und schaute sie durch die Eisenstäbe an. «Oui?»
    Ein dicker Regentropfen landete auf Grants Handrücken, während Reed sich aus dem Wagenfenster beugte und sagte: «Dites à Monsieur Sourcelles que le Professeur Arthur Reed est venu pour lui voir.»
    Der Butler – er muss ein Butler sein, dachte Grant – trat hinter den Torpfeiler und zog aus einer verborgenen Nische einen Telefonhörer hervor. Er sprach ein paar Worte, hörte zu, nickte. «Monsieur Sourcelles fühlt sich geehrt, dass Professor Reed den weiten Weg auf sich genommen hat, um ihn zu besuchen. Er hätte ihn sehr gern empfangen. Doch er ist – malheureusement – zu beschäftigt.»
    Grant unterdrückte den Impuls, den Mann mit der Maschinenpistole einzuschüchtern. «Sagen Sie Monsieur Sourcelles, es ist sehr wichtig. Sagen Sie ihm, es geht um die kleine Tontafel, die er 1941 in Athen gekauft hat. Sagen Sie ihm, sein Leben ist in Gefahr. Nicht durch mich», fügte er hinzu.
    Der Butler starrte ihn aus dunklen, tiefliegenden Augen an, dann griff er sichtlich widerstrebend noch einmal zum Telefon und sprach wieder ein paar Worte hinein. «Oui. Oui. Bon.
    Monsieur Sourcelles heißt Sie willkommen.»
    Der Butler öffnete das Tor, und der Wagen rollte die Auffahrt entlang, zwischen Blumenrabatten und Rasenflächen, Weiden und Lorbeerhecken hindurch. In einiger Entfernung konnte Grant durch die Pappeln, die das Anwesen säumten, die alabasterweißen Umrisse eines klassischen Tempels mit Kuppel erkennen – sicher eine verrückte Extravaganz, doch im Vergleich zu dem Haupthaus erschien so etwas hier beinahe vernünftig.
    Am Fuß einer Treppe, die zum Haus hinaufführte, kam der Wagen

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