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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Sonne. Er murmelte vor sich hin:
… und band sich unter die Füße die schönen
Goldnen ambrosischen Sohlen, womit sie über die Wasser
Und das unendliche Land im Hauche des Windes einherschwebt;
Fasste die mächtige Lanze mit scharfer eherner Spitze …
    Was hätte Homer wohl geschrieben, fragte sich Reed, wenn er sein Land von hier oben hätte betrachten können?

    Sie hatten fast einen Tag gebraucht, um Sourcelles aufzuspüren, hatten im Hotel Grande Bretagne in Telefone geschrien und Telegramme verschickt. Von dem kleinen Büroraum aus hatten sie die Tentakel ihrer Suche über ganz Europa ausgestreckt: Zuerst zu Konsulaten, Bibliotheken, Universitäten und vor allem dem grauen Gebäude ein Stück abseits der Victoria Street; dann allmählich hatten sie sich auf Steuerbehörden, Bürgermeister und Polizeichefs vor Ort konzentriert. Am Ende des Tages hatte Muir Jackson im Hotel das Ergebnis der Suche präsentiert.
    «Luc de Sourcelles. Hat die griechische Staatsbürgerschaft, ist aber gebürtiger Franzose, wie schon am Namen zu erkennen ist. Seine Familie stammt aus Bordeaux – sie waren im Schiffsbaugewerbe, so kam er ursprünglich nach Griechenland. Er hat ein Vermögen geerbt, das er größtenteils in seine Sammlung griechischer Antiquitäten gesteckt hat. Er ist verrückt nach allem, was mit dem alten Griechenland zu tun hat; ganz besessen vom Zeitalter der Heroen. Hat mit Schliemanns Witwe korrespondiert. Ab und zu taucht er aus der Versenkung auf, um irgendeinem obskuren europäischen Archäologen auf die Nerven zu gehen. Die Leute spielen seine Spielchen mit, weil sie hoffen, dass er ihre Ausgrabungen finanziert. Aber insgeheim halten ihn alle für nicht ganz richtig im Kopf. Er ist berühmt – wenn man es denn so nennen kann – für seine zurückgezogene Lebensweise. Verwitwet, eine Tochter, lebt auf seinem Anwesen in Makedonien, in der Nähe von Thessaloniki. Vor zehn Jahren hat er eine Monographie geschrieben und im Selbstverlag in Paris drucken lassen: La Mort d’Achille et son Audelà .»
    «Was heißt das in verständlicher Sprache?»
    « Der Tod des Achilles und sein Nachleben. Sourcelles’ Spezialgebiet. Marina ist darauf gestoßen, als sie über die Weiße Insel recherchiert hat. Darum hatte sie den Namen in ihrem Notizbuch stehen.»
    «Und, ist das Buch gut?»
    «Die Bibliothek hatte es nicht im Bestand», erklärte Marina. «Ich habe es nur in einem anderen Buch in einer Fußnote gefunden.»
    «Hm. Und Sie denken, dieser Bursche hat dem toten Juden die andere Hälfte der Tontafel abgekauft?»
    «Durchaus möglich. Allein die Schrift muss ihn interessiert haben – und dann ist da noch das Bild auf der Rückseite. Reed denkt, etwas in der Abbildung könnte auf Achilles oder seinen Schild hingedeutet haben, vielleicht sogar auf die Weiße Insel.»
    «Haben Sie Sourcelles schon erreicht?»
    «Wir haben es telefonisch versucht, sind aber nicht durchgekommen. Im Norden Griechenlands hat es in letzter Zeit größere Unruhen gegeben – vielleicht sind die Leitungen beschädigt.»
    Jackson runzelte die Stirn. «Dann sollten wir besser hinfahren. Und hoffen, dass wir vor den Roten ankommen.»

    Thessaloniki war eine düstere Stadt, die um eine Bucht herum angelegt war. Gespenstische Häuserfassaden erstreckten sich entlang der Uferpromenade; der Hafen zeigte noch deutliche Spuren des erst vor kurzem zu Ende gegangenen Krieges. Dahinter reckten ein paar Minarette ihre Köpfe über die Wohnhäuser, eine Erinnerung an die Invasionen der ferneren Vergangenheit. Doch auch jetzt vermittelte die Stadt noch das Gefühl, als befände man sich nahe einer Kriegsfront. Als das Wasserflugzeug in den Hafen tuckerte, kamen sie an Kriegsschiffen und Frachtern vorbei, die auf das Entladen warteten. Die Schiffsrümpfe waren so grau wie der Himmel darüber.
    Ein Wagen holte sie am Hafen ab, ein schwarzer Packard mit einem amerikanischen Soldaten am Steuer. Auf der Motorhaube war mit einer Schablone eine Kennnummer aufgemalt, und eine weitere stand auf der rechten Brusttasche des Fahrers. «Lieutenant Kirby», stellte er sich vor. Der Name war auch auf seiner Uniform zu lesen. Kirby konnte seine Überraschung nicht verbergen, als er den Rest der Gruppe musterte: Reed mit seinem professorenhaften Tweedanzug und der Brille; Muir mit seinem adretten Anzug und dem unruhigen Blick, der Grant immer an einen Schwarzmarkthändler erinnerte; Marina in einem schlichten schwarzen Kleid mit Gürtel und schließlich Grant, den er

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