Der vergessene Templer
Brüderschaft gehört eben auch das dazu passende Ritual.«
»Du meinst den Kuss.«
»Erraten.«
Sharon hob die Schultern. »Naja, wenn es nun mal dazugehört, dann will ich es akzeptieren.«
Sven schoss eine Glutwelle durch den Kopf. Das Glas fand seinen Platz im Gras und kippte um, was ihm allerdings nichts ausmachte.
Sharon hielt ihr Glas noch fest, als Sven sie mit beiden Armen umschlang.
Der Kuss verwandelte sich schon bald in einen anderen. Plötzlich spielten die Zungen miteinander, und beide Menschen verloren in der nächsten Minute den Sinn für die Realität. Es gab die Umgebung nicht mehr, sie rochen nicht das frische Gras und nahmen auch nicht das Streicheln des Windes wahr, der durch ihre Haare wehte, sie waren selbstvergessen, und als sie sich endlich voneinander lösten, waren beide atemlos und erregt.
»Mann«, sagte Sharon. »Das war aber eine Überrumplung.« Sie stieß laut die Luft aus.
»Aber eine schöne, nicht?«
Sie lächelte und hob die Schultern. »Außerdem hat sich mein BH geöffnet. Komisch, nicht?«
Sven lachte. »Es war wohl nicht der passende.«
»Kann sein.«
»Soll ich ihn wieder schließen?«
»Nein, nein, lass mal. Das würdest du sowie nicht tun. Aber jetzt habe ich erst mal Hunger.«
»Bitte, bedien dich. Der Tisch ist gedeckt.«
Sie aßen beide. Der Käse schmeckte ausgezeichnet, und Sven öffnete noch die halbe Weinflasche. Auch er war nicht zu trocken, und wieder stießen beide an.
Ihnen schmeckte der Wein. Sie aßen, sie tranken, sie unterhielten sich. Jeder erzählte von seinem Job, und Sven konnte Sharon einfach nicht aus den Augen lassen. Er fand ihr Gesicht so reizend und musste zugeben, dass er sich noch nie zuvor so sehr in eine Frau verliebt hatte. Die Zeit war für die beiden Menschen gar nicht mehr vorhanden. Sie schwand dahin wie ein flüchtiger Gedanke. Längst hatte die Dunkelheit das Land überfallen. Es war stiller geworden, doch in der Stille hörten sie die wenigen Geräusche umso deutlicher.
Aus dem Rheintal drangen sie hoch. Es war zumeist das Tuckern der Schiffsmotoren, das einfach zu dieser Gegend dazugehörte und überhaupt nicht störte.
»Das Leben kann so schön sein«, flüsterte Sharon plötzlich. »Aber auch so gnadenlos und grausam, wenn ich an all die Menschen denke, die in den Krisengebieten sterben.«
»Sicherheit gibt es nirgendwo, Sharon. Auch in unseren Breiten nicht. Denk nur an die Anschläge. Madrid hat uns die Augen geöffnet, mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.«
»Stimmt.«
»Aber man soll daran nicht denken und den Augenblick genießen. Eines können auch keine Terroristen zerstören.«
»Was meint du damit?«
»Die Liebe unter den Menschen. Die war schon immer, die gibt es, und die wird auch immer bleiben.«
Das Leuchten in Sharon’s Augen war nicht zu übersehen. »Bist du immer so philosophisch-romantisch?«
»Nur bei Menschen, die ich selbst liebe.«
Sharon schwieg. Sie senkte den Blick. Sie spürte, dass Röte in ihr Gesicht stieg. Das Geständnis war für sie etwas überraschend gekommen, und sie wusste zunächst nicht, wie sie sich verhalten sollte.
Sven ließ ihr Zeit, darüber nachzudenken. Er trank den Wein in kleinen Schlucken, schaute schräg gegen den dunklen Himmel und nahm die Stille in diesen Momenten noch intensiver wahr.
Stille?
Das traf nur teilweise zu, denn plötzlich war sie nicht mehr so, wie sie hätte sein sollen. Er hörte plötzlich ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Es stammte nicht vom Rhein her, obwohl es recht dumpf und auch recht weit entfernt klang. Zugleich aber wieder in einer schon bedenklichen Nähe.
Innerhalb kürzester Zeit war der Zauber verflogen. Er saß so starr auf der Stelle, als hätte er einen Stock verschluckt, und dieses Verhalten fiel auch Sharon auf.
»He, was ist mit dir?«
»Ich... ich... weiß es auch nicht so genau. Ehrlich.« Er hob die Schultern.
»Doch, du weißt es!«
»Gut. Hast du es nicht auch gehört?«
»Was?«
»Das Geräusch.«
Sharon schaute ihren neuen Freund staunend an.
Nein, mir ist nichts aufgefallen. Oder willst du mir eine gewisse Angst einjagen?«
»Unsinn.«
»Nein, ich...«
In der folgenden Sekunde saßen die beiden jungen Menschen starr auf ihren Plätzen, denn jetzt hatte jeder von ihnen diesen unheimlich klingenden Laut gehört. Man konnte ihn nicht genau beschreiben. Es war ein tiefes Rumoren in der Erde, als würde dort ein gewaltiges Ungeheuer lauern, das seinen heißen Atem ausspie.
»Normal ist
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