Der vergessene Templer
Dagmar?«
»Oben in ihrem Zimmer. Sie kommt gleich. Sie will sich nur etwas frisch machen.«
»Und was ist mit den Zeugen?«
»Die bringt sie mit.«
»Hast du die beiden denn kennen gelernt?«
Harry nahm wieder auf seinem Stuhl Platz. »Das habe ich«, bestätigte er, »und ich muss dir sagen, John, dass sie auf mich einen glaubwürdigen Eindruck gemacht haben.«
Das war wichtig, denn irgendwelche Spinner konnten wir nicht gebrauchen. Harry hatte Speisekarten mitgebracht. Er reichte mir eine und schlug seine selbst auf.
Für Dagmar wollte er mitbestellen. Es gab die kleine Abendkarte, und so entschied ich mich für Kartoffelsalat mit einer dicken Bockwurst.
Dieses Gericht bestellte Harry ebenfalls bei der Bedienung und für Dagmar einen »Salat Rheinblick«. Das Grünzeug wurde mit Geflügel und Ei gemischt.
»Kommen die beiden auch?«
»Ja. Aber sie müssen sich erst erholen. Du kannst dir denken, dass der Schock sehr tief sitzt.«
»Und wie haben die Besitzer hier reagiert? Das sind doch Tante und Onkel des Mannes.«
»Ja. Nur gehört der Tante das Hotel. Ist auch egal. Sie konnten es natürlich nicht fassen. Klar, das war für sie wie ein Schlag in die Magengrube. Aber es sieht alles danach aus, dass wir uns mit einem Zombie-Ritter beschäftigen müssen.«
»Ja, erst mal finden.«
Harry verzog die Lippen zu einem säuerlichen Grinsen. »Genau das ist ein Problem.«
»Dagmar hat nicht zufällig in Erfahrung bringen können, wohin sich diese Gestalt gewandt hat?«
»Nein, auf keinen Fall. Sie war mit ihrem Wagen ja viel schneller. Ich denke, dass er trotzdem ein Ziel haben wird.«
»Den Ort hier?«
Harry zuckte mit den Schultern. »Nicht unbedingt, würde ich sagen. Vergiss nicht, dass es noch die Burg gibt.«
»Den Ort seines Todes.«
»Genau.«
»Was sollte er dort?«
»Weiß ich nicht, John. Von der Burg ist ja noch etwas übrig. Vielleicht will er sie in seinen Besitz nehmen. So etwas wie eine späte Genugtuung.«
»Ausschließen kann man es nicht.«
»Na, ihr beiden...?«
Die Frauenstimme riss uns aus unseren Gedanken. Dagmar kam auf unseren Tisch zu. Sie sah frisch aus, hatte ihr wildes Haar versucht zu kämmen, und auf ihrem Gesicht lag ein Hauch von Rouge, der die meisten Sommersprossen überdeckte. Sie trug eine bunte Bluse, die über den Bund der Hose fiel, und eine beige Cordhose. Eine leichte Jacke hatte sie über den linken Arm gehängt.
Dass sie großen Stress erlebt hatte, sah man ihr nicht an. Und als sie mich begrüßte, verschwand auch der ernste Ausdruck aus ihren Augen. Wir umarmten uns, und so war zunächst mal nur das Private wichtig. Die Bedienung erschien, brachte das Essen und zwei große Flaschen Wasser, die Dagmar bestellt hatte.
»Ich hatte mir gedacht, das ist besser als Bier. Wer weiß, was noch auf uns zukommt.«
»Nur schmeckt es nicht so gut«, meinte Harry.
»Ach, man kann eben nicht alles haben.«
Wir hätten uns zwar über andere Themen unterhalten können, aber das Essen war auch wichtig. Ein leerer Magen konnte keinem so recht gefallen.
Harry und mir schmeckte es, und auch Dagmar war zufrieden. Zwischendurch sprachen wir über das, was sie erlebt hatte. Sie schilderte in Kurzform alles, damit auch ich erfuhr, wie sich die Vorgänge abgespielt hatten.
»Kannst du ihn denn beschreiben?«, fragte ich.
»Nein und ja. Es hilft uns nur nicht weiter, weil ich kein Gesicht gesehen habe. Er trug einen Helm und hatte das Visier davor geklappt. Hinzu kam noch die Dunkelheit.«
»Pech.«
»Was interessiert dich denn so an seinem Gesicht?«
Ich zuckte die Achseln. »Es könnte ein Skelettkopf sein, was natürlich wäre, aber es ist auch möglich, dass er nicht verweste. Als Lohn dafür, dass er sich der anderen Seite zugewandt hat.« Ich winkte ab. »Das kennen wir ja.«
»Und was kann er jetzt Vorhaben? Einen Rachefeldzug?«
»Auch.«
»Sonst noch was?«
»Kann ich dir nicht sagen, Harry, aber...« Ich verstummte, weil die beiden anderen Gäste sich von ihren Plätzen erhoben hatten und grußlos aus dem Restaurant verschwanden.
Ich schaute ihnen kurz nach. Sie trugen dunkle Kleidung, von ihren Gesichtern hatten wir so gut wie nichts gesehen.
Ich beschäftigte mich wieder mit meinem Essen und fragte zwischendurch, wann die beiden nach unten kommen wollten.
»Das wird noch dauern«, sagte Dagmar. »Sie müssen den Schock erst überwinden.«
»Verständlich.« Den Rest des Kartoffelsalats ließ ich auf dem Teller. Eigentlich war es zum Lachen. Da
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