Der vergessene Templer
Erfahrungen damit gesammelt. Aber jede dieser Gestalten besaß auch eine Vorgeschichte, und ich ging jede Wette ein, dass es auch diesmal der Fall war, und ich hätte weiterhin darauf gewettet, dass es Menschen hier im Ort gab, die darüber informiert waren. Möglicherweise sogar der Wirt, den man als Einheimischen ansehen musste.
»Wenn er hierher kommt, werden wir ihn erwarten«, flüsterte Harry. »Ich glaube nicht, dass er wieder zurück in sein Grab kriecht.«
Ich winkte ab. »Lass uns nicht mit irgendwelchen Vermutungen spekulieren. Es wäre besser, jemanden zu finden, der uns konkrete Hinweise gibt.«
»Der Wirt vielleicht.«
»Versuche es.«
Harry stand auf. Er war froh, endlich etwas zu tun zu haben. Es dauerte knapp zwei Minuten, da war er mit dem Mann zurück. Er sah aus, wie man sich einen Wirt in einer Weinwirtschaft vorstellt. Nicht eben schlank, richtig lebensfroh mit hell funkelnden Augen und einer Gesichtshaut, die leicht gerötet war.
Er hieß Gerd Nolte, trug ein blaues Hemd, eine schwarze Hose und hatte sich eine kurze Lederschürze umgebunden. Er wusste, weshalb wir ihn sprechen wollten, aber Harry hatte ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt und sorgte nun dafür, dass er ins Nachdenken kam, als der deutsche Agent ein bestimmtes Thema anschnitt.
»Ach«, sagte Nolte und fuhr über sein graues Stoppelhaar. »Sie denken an die alte Legende, die sich um den Ritter Victor von Narbonne dreht.«
»Genau an die.« Ob es stimmte, wussten wir nicht, aber wir setzten auf unser Glück.
Nolte hatte sein Weinglas mitgebracht. Er trank erst mal zwei Schlucke und dachte dabei nach.
Wenig später erfuhren wir eine Geschichte, wie sie sich nicht nur einmalig abgespielt hatte. Wir hörten von den Rittern, die sich auf die Burg zurückgezogen und sich bis zum bitteren Ende gegen die Angreifer gewehrt hatten, die unter dem Kommando des Bischofs von Mainz gestanden hatten, um die Flüchtlinge zu töten.
»Waren es wirklich Flüchtlinge?«, fragte ich.
»Ja.« Nolte nickte mir zu.
»Wissen Sie, weshalb sie geflohen sind? Was haben sie der Kirche so Schreckliches angetan?«
»Sie gehörten wohl nicht mehr dazu.«
»Wie meinen Sie das genau, Herr Nolte?«
»Was heißt genau. Ich kenne auch nur die alten Überlieferungen. Es waren Ritter, die einem bestimmten Orden angehörten, den es heute nicht mehr gibt.«
»Fällt Ihnen der Name ein?«
Gerd Nolte brauchte etwas Gehirnnahrung. Die fand er in einem Schluck Wein.
»Ja, Templer. Es waren Templer!«
Nach dieser Antwort saß ich zunächst still wie eine Statue, und mir schoss vieles durch den Kopf. Plötzlich bekam die Geschichte einen ganz anderen Sinn. War ich vorhin noch skeptisch gewesen, so dachte ich jetzt anders darüber, denn mit den Templern und deren Vergangenheit hatte ich so meine Erfahrungen sammeln können.
Jetzt war mir auch begreiflich, dass ein Ritter aus der Erde gekommen war, in der er sein Grab gefunden hatte. So etwas hatte ich schon erlebt, denn es hatte genügend Templer gegeben, die sich während ihrer Verfolgung der anderen Seite zugewandt hatten, dem Teufel zugetan waren oder dem Dämon Baphomet.
In den letzten Monaten hatte ich viel damit zu tun gehabt, aber eingebunden in einen gewissen Kreislauf, der letztendlich den Grusel-Star van Akkeren die Existenz gekostet hatte. Danach war es ruhig um meine Templer-Freunde geworden, die in Südfrankreich dabei waren, ihr Kloster wieder aufzubauen.
Ich stellte fest, dass mich Harry und der Wirt verwundert anschauten, und Gerd Nolte fragte: »Habe ich Sie mit meinem Bericht entsetzt, Herr Sinclair?«
»Nein, nein, auf keinen Fall. Ich bin nur ein wenig nachdenklich geworden, wenn Sie verstehen.«
»Die Geschichte ist oft blutig. Und ich sage Ihnen, diese Templer müssen sich wie wahnsinnig verteidigt haben. Doch die Übermacht war zu groß. Da mussten sie passen. Einer blieb noch übrig, und den wollte sich der Anführer der Truppe, Wolfhart von Lahnstein, holen. Er bewunderte den Mann regelrecht, und so schlug er Victor von Narbonne vor, ihm die Freiheit zu geben. Er nahm nicht an. Es kam zu einem Kampf zwischen den beiden, die in den Wassergraben der Burg fielen, aber ertrunken ist Victor von Narbonne nicht. Man hat ihn schließlich, so erzählt es die Legende weiter, lebendig eingemauert.« Der Wirt deutete in die Höhe. »Irgendwo in der Nähe der Burg. Ein offizielles Grab gibt es nicht, aber dafür...«, jetzt lächelte er, »eine schaurige Geschichte, wobei die alten
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