Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
ersucht.«
»Das wird helfen, zweifellos. Und wo du gerade vom Schreiben sprichst – da fällt mir etwas ein. Entschuldigt mich. Ich bin rechtzeitig zum Rat zurück.«
Damit stand er auf und verließ das Gästehaus.
Noch war die dritte Stunde nicht angebrochen. Es war noch genügend Zeit. Finn trat unter die Arkaden und wandte sich nach rechts, dem Máhirhaus zu. Drinnen fragte er den nächstbesten Vahit nach Taddarig Sperler, als der Alam Buoggir höchstselbst um die Ecke bog. Finn trug seine Bitte vor, und sie wurde gern bewilligt. Er erhielt ein kleines, in Leder gebundenes Buch ausgehändigt, dazu Tintenfass und Feder, alles mit dem Siegel Fokklinhand versehen.
»Bitte setze den Wert der nächsten Lieferung um das, was ich dir schulde, herab, Herr Taddarig«, bat Finn und zeichnete den Erhalt der erbetenen Dinge ab. »Und vielen Dank.«
»Mögen die Sachen dir nützlich sein, was immer du damit vorhast.«
»Ach, ich weiß nicht, ob es einen Nutzen bringt«, sagte Finn. »Mir ist nur so, als müsste ich schleunigst ein paar Dinge aufschreiben, ehe ich sie durcheinanderbringe oder etwas vergesse.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals so eifrig gesehen zu haben«, rief der Alam Buoggir ihm nach, der an vergangene Gwaendia-Stunden dachte; aber da hatte Finn sich schon umgedreht und war nach draußen geeilt.
Das Máhirhaus besaß einen überwölbten Durchgang, der dem Torweg der Buogga genau gegenüberlag. Aber dieser war schmaler und von weißgetünchten Steinen gesäumt. Rankengewächse rahmten ihn ein. Er führte auf die andere Seite des Hauses und in den dort beginnenden äußeren Garten hinein, der teils unter Bäumen, teils im hellen Sonnenschein Plätze der Ruhe und Raum zum Nachdenken bot. Es gab Rosen- und Fliederbüsche hier, Schmetterlingszier und das ganze Jahr über blühende Beete. Zwischen ihnen führten gewundene Kieswege entlang, und es gab mehr als eine Handvoll Ecken, die abgeschieden waren und über steinerne Bänke und runde Tische verfügten, an denen bei schönem Wetter gelesen und geschrieben wurde.
Finn suchte nicht lange. Er nahm die erstbeste Nische, die in einem Kreis von vahithohem Blutweiderich stand und im frühen Sonnenschein lag. Er breitete sein Schreibzeug aus, während die Blütenstängel um ihn herum fröhlich im Winde nickten. Ihm war beim Aufwachen der Einfall gekommen, es könnte vielleicht irgendwann nötig sein, sich an die Ereignisse dieser Tage möglichst genau zu erinnern. Und solange alles noch frisch in seinem Gedächtnis vorhanden war, würde er es, so hoffte er, einigermaßen leicht niederschreiben können. »Es wird ein Tagebuch werden, oder etwasin der Art – Tatsachen«, murmelte er vor sich hin. Er tauchte die Feder ein und schon mit dem ersten Federstrich schummelte er ein wenig: Unter dem Datum des vergangenen Dienstags, des 2. Oktober, hob er an, von den Dingen zu berichten, die ihm widerfahren waren, gleichwohl heute schon Samstag, der 6. Oktober war. Und er begann, jetzt wieder ganz bei der Wahrheit bleibend, bei dem unlängst verloren gegangenen Brief des Herrn Banavred Borker.
Er hörte ihr Räuspern erst, als sie vor ihm stand. Ihr Haar leuchtete überraschend hell, viel heller im Sonnenlicht als gestern Abend vor dem glühenden Kamin, und sie sah so munter und frisch aus wie eine gerade erblühte Rose. Hatte sie etwas gesagt? Ihn etwas gefragt? Er war so ins Schreiben vertieft gewesen, dass er nicht sicher war, ob sie eine Antwort von ihm erwartete. Und, wenn ja, welche?
»Guten Morgen, Tallia«, brachte er lediglich hervor. Es schien das Richtige zu sein, denn sie lächelte.
»Danke, dir auch. Ob es allerdings ein guter Morgen wird? Ich weiß nicht«, antwortete die junge Schrifferin. »Davon abgesehen bin ich in dienstlichem Auftrag hier. Ich soll dich an den Rat erinnern. Und dir, wenn ich dich finde, gefälligst Beine machen. Das trug mir wörtlich Frau Amagata auf, die mich nach dir ausschickt.«
Finn sah erschrocken zur Sonne hoch und blinzelte. Zu rasch war die Zeit verstrichen, der Rat würde in wenigen Minuten zusammentreten. Er schlug sein Buch zu und raffte seine Sachen zusammen.
»Entschuldige, ich w-war völlig in Gedanken. Sie – sie warten doch nicht et-etwa schon?« Sein Stottern war ihm peinlich, aber es war bereits zu spät. Sie schüttelte den Kopf und lächelte weiter. Entweder hatte sie sein Gehaspel nicht bemerkt, oder sie war höflich genug, so zu tun, als spräche er wie ein verständiger Vahit und
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