Der Vergessene
werden wie früher. Er gehörte zu denjenigen, die für Lilith rekrutiert werden sollten, und da war er sauer. Er wollte nicht.
Genau das hatte er Kamuel nicht nur einmal gesagt. Der Vergessene hatte ihm zugehört, aber nicht zugestimmt. Er war auch bereit, Amos durch den Einsatz von Gewalt umzudrehen, und das hatte ihm Atkins geglaubt. Kamuel wollte eine Entscheidung. Sie konnte nur in seinem Sinne gefällt werden, alles andere wäre tödlich gewesen.
»Ich komme wieder - schon bald!« hatte Kamuel zum Abschluss erklärt und war verschwunden.
Den Besuch hatte Amos vor drei Nächten bekommen. In der Zeit danach war er nicht mehr der alte gewesen. Okay, er hatte sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, aber seine frühere Lockerheit war verschwunden. Er war gereizt, oft wütend, sehr nervös, und seine schlechte Stimmung hatte sich auf die anderen Mitarbeiter übertragen, die dabei waren, die erste Folge der Game-Show nach der Sommerpause wieder im Beisein eines großen Publikums in Szene zu setzen. Nach den Proben war Atkins schnell verschwunden. Immer wieder abgetaucht.
Nichts hören und nichts sehen von den Kollegen, bis auf eine Ausnahme. Diesen Termin konnte er nicht zurücknehmen. Er hatte sich am Abend mit Carol Maxwell verabredet. Sie war eine PR-Frau, die beim Sender arbeitete und dabei immer den Kontakt zur Öffentlichkeit hielt. Für ihn war sie wichtig. Er konnte und wollte sie nicht verärgern, und er wurde sie auf der anderen Seite auch nicht los, denn die beiden hatten schon längst miteinander geschlafen. Nicht regelmäßig, da gab es noch einige andere, aber einmal im Monat sicherlich.
Die Arbeitsbesuche in seinem Penthouse wurden für Amos Atkins sehr bald intim und privat. Carol verwandelte sich dann stets in eine Klette, die bis zum Frühstück blieb, was ihm früher ganz recht gewesen war.
Seit drei Tagen dachte er anders darüber.
An diesem Abend war Carol da, und er dachte darüber nach, wie er sie loswerden konnte. Hätte er einen normalen Job gehabt, wäre das kein Problem gewesen, aber Carol brachte es fertig, ihn aus Rache unmöglich zu machen. Sie hatte ja nichts gegen seine Affären, aber sie wollte auch entsprechend behandelt werden, und bei einem Rausschmiss hätte sie sich durch entsprechend lancierte Artikel in den Printmedien gerächt.
Da musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Hinter ihm lag ein harter Tag. Allerdings auch ein guter, was die Arbeit anging. Die Proben waren gut verlaufen, das eingeschworene Team hatte dafür gesorgt, und auch Amos hatte seine Nervosität in Grenzen halten können.
Er wollte Carol Maxwell in der Nacht nicht bei sich haben. Es konnte durchaus sein, dass er wieder Besuch erhielt, und dann sah es nicht gut für ihn aus, denn entschieden hatte er sich noch nicht. Er wollte abwarten, wie weit Kamuel ging, aber zunächst war er es, der unruhig auf und ab tigerte. Durch einen großen Wohnraum auf dem Dach des achtstöckigen Hauses mit dem herrlichen Blick über die Waterfront. Er sah den Hafen, die Brücken, den Fluss. Er sah den Himmel, der im Westen noch rot war, und er sah auch die Lichter, die unter ihm schimmerten, als wollten sie zu ihm hoch grüßen.
Nichts war im Lot. Nichts war mehr so wie früher. Auch das Ende seiner Karriere sah er dicht vor sich, wenn es wieder einen Rückzug in die Vergangenheit gab. Er war ein Mensch und zugleich ein Engel.
Einer, der auf der Erde lebte und einfach da war. Ohne Vater, ohne Mutter, ohne eine großartige Vergangenheit. Die hatte er sich selbst aufbauen müssen, und das hatte auch geklappt. Wurde er nach seinen Eltern gefragt, sprach er nur über ihren Tod und davon, dass er in einem Waisenhaus aufgewachsen war. Verwandte gab es nicht, und er lebte gut vor sich hin.
Noch etwas war ihm aufgefallen. Es musste nicht stimmen, doch mittlerweile glaubte er beinahe daran. Er hatte den Eindruck, weniger zu altern als die übrigen Menschen. Es konnte Einbildung sein, doch so recht wollte er daran nicht glauben. Immer wenn er sich im Spiegel sah, wurde ihm dies bestätigt. Ein großartiges Privileg, aber die Vergangenheit war schlimmer.
Lilith…
Nachdenklich schaute er durch das Fenster auf die Stadt hinaus und ließ sich diesen Namen durch den Kopf gehen. Er wusste etwas damit anzufangen. Die alten Namen waren nicht in Vergessenheit geraten, und irgendwie zählte er Lilith auch zu den Engeln und damit zu seinem näheren Kreis. Aber ganz bei ihr sein wollte er nicht. Dieses neue Leben war viel
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